Die ketogene Ernährung, ein Speiseplan mit extrem wenig Kohlenhydraten und mehr Fetten, überzeugt mit hoher Leistungsfähigkeit und weniger Gewicht. Doch die meisten tun sich schwer mit dem Verzicht. Damit könnte jetzt Schluss sein. Gute Nachrichten von der Wissenschaftsfront.
Ein Stoffwechsel in „Ketose“ verbrennt vor allem Fett. Die namensgebenden „Ketone“ sind jene Bausteine, die aus dem Abbau der Nahrungs- und Speicherfette in unseren Energiestoffwechsel einfließen. Verzichten wir auf Kohlenhydrate, die unseren Blutzucker als Energiequelle hoch halten, ist der Körper gezwungen umzusteigen. Die Ketose macht uns zu exzellenten Fettverbrennern. Dadurch werden wir nicht nur schlanker. Mit dem verbesserten Zugriff auf unsere Energiereserven und mit viel gesunden, pflanzlichen Fetten in der Nahrung geht uns auch nie die Energie aus und es fallen weniger belastende freie Radikale im Stoffwechsel an. Fette sind das bessere „Benzin“. Wir fühlen uns extrem fit und leistungsfähig. Damit avancierte die Ketose zum Schlüssel langer Gesundheit.
Damit das funktioniert, müssen nach gängiger Auffassung 70–80 Prozent der zugeführten Kalorien täglich aus Fetten kommen. Das fällt nicht nur Kindern und Jugendlichen schwer. Daher fragen sich nicht nur Wissenschaftler, ob es Maßnahmen gibt, die den Weg in die Ketose erleichtern oder durch die Vorteile schon bei einer kohlenhydratarmen Ernährung eintreten.
Der Blick richtet sich auf die Mitochondrien
Fette und Kohlenhydrate sind unsere „Energiequellen“. Doch wie nutzt der Körper sie? Im Stoffwechsel läuft der Abbau energiereicher Verbindungen, wie in einem Trichter immer an der gleichen Stelle zusammen: in den Mitochondrien. Sie sind die „Kraftwerke“ unserer Zellen. Hier findet die sogenannte „Endoxidation“ statt. Eine Kette an Stoffwechselschritten, welche die kleinsten Bausteine aus Fetten und Kohlenhydraten endgültig abbaut, bis nur noch Wasser und Kohlendioxid (CO2 ) übrig sind. Die scheiden wir dann aus. Das Wasser als Urin, das Gas CO2 über die Atmung. Damit ist die Nahrung vollständig umgesetzt, auch ihre Energie.
Der Sinn der „Endoxidation“ liegt darin, die beim Abbau frei werdende Energie kontrolliert für den Körper abzufangen und lagerfähig zu machen. Mitochondrien übertragen die Energie aus Fetten und Zuckern auf den universellen Energieträger „ATP“ (AdenosinTri-Phosphat), auf eine chemische Verbindung, die der Körper wie einen Batterievorrat nutzen kann. Fette hinterlassen dabei pro Gramm mehr als doppelt so viel ATP wie Zucker (Kohlenhydrate) und richten gleichzeitig weniger Schäden durch freie Radikale an.
Vorteile der Ketose auf einen Blick
Die Vorteile der Ketose liegen auf der Hand. Ein Stoffwechsel in Ketose bringt:
1. mehr Ausdauer. Fette sind unsere natürliche Energiereserve. Ein normalgewichtiger Mensch hat genug Fettgewebe, um über Tage ohne Essen leistungsfähig zu bleiben. Wer regelmäßig in der Ketose ist, schult seinen Stoffwechsel schnell zwischen der Verbrennung von Kohlenhydraten und Fetten hin- und herzuspringen. So geht nie die Energie aus. Wir können „Bäume ausreißen“.
2. mehr „Power“. Das Verbrennen von Fetten liefert pro Gramm mehr als doppelt so viel Energie (ATP), wie das Verbrennen von Zuckern (Kohlenhydraten).
3. weniger Gewicht. Fettverbrennung hält die Reserven im Lot. Überschüssige Speckpolster schwinden. Der Körper findet in sein Normalgewicht.
4. „saubere“ Energie. Die Energiegewinnung aus Ketonen hinterlässt weniger aggressive Stoffwechselverbindungen (freie Radikale), als der Kohlenhydratstoffwechsel. Zellen und Gewebe nehmen weniger Schaden. Das Entzündungsrisiko sinkt.
Neue Erkenntnisse stellen strenge Diäten in Frage
Was Wissenschaftler stutzig machte: Auch in der Ketose generiert das Gehirn nur bis zu 75 Prozent seiner Energie aus Ketonen. Den Rest bezieht es aus Zucker (Kohlenhydraten), auch, wenn es ihn, dank Kohlenhydratmangel, mühevoll selbst herstellen muss (Glukoneogenese). Muskeln nutzen Ketone sogar nur zu 30 Prozent und greifen für den Rest auf freie Fettsäuren zurück. Wofür der Aufwand der Zuckerherstellung, wenn Ketone die bessere Energie sind? Ist die strenge KohlenhydratDiät (Keto), abgesehen von ihrer therapeutischen Anwendung (z. B. bei Übergewicht, Diabetes Typ 2, Prädiabetes, Epilepsie u. v. m.) überhaupt notwendig?
Regelmäßig, aber nicht ausschließlich
Der Speiseplan, der uns in der Fettverbrennung schult, entspricht dem, was die Natur für uns vorgesehen hat. Er ist überwiegend pflanzlich, mit viel Obst, Gemüse, Samen und Nüssen und wird ergänzt durch Fisch, Fleisch, Eier und gesunde pflanzliche Öle, die für Sättigung und ausreichend Energie sorgen. Kohlenhydrate gibt es auch, aus Obst, Gemüse und vollem Korn, aber Getreide kommt natürlich nicht in solchen Mengen vor. Die Getreidezucht und besonders Weißmehl und Zucker sind Erfindungen des Menschen. Unsere Mitochondrien sind zur Energieproduktion entsprechend besser für Fette gerüstet, können immer aber auch Kohlenhydrate verwenden. Kohlenhydrate sind per se nicht ungesund, führen aber raffiniert und im Übermaß genossen – je nach persönlicher, häufig niedriger Toleranz – zu dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegeln (z. B. Pizza, Pasta, Brot und Süßspeisen). Der Körper kommt nicht mehr in die Fettverbrennung, die Blutzucker regulierenden Systeme ermüden und die Leber wandelt das Zuviel an Zucker in Speicherfette um. Wir werden übergewichtig, schleichend zuckerkrank und haben schlechte Blutfettwerte, mit hoher Belastung für Herz und Kreislauf, mit beschleunigtem Gelenkverschleiß und mit Stoffwechselentgleisungen, die mit erhöhtem Risiko für Demenz, Alzheimer, Parkinson, chronische Entzündungen und Krebs in Verbindung stehen.
Ketogene Ernährung verspricht mit rigorosem Kohlenhydratverzicht einen schnellen Ausstieg. Doch ist der Umstieg nicht so einfach und mit Risiken behaftet (z. B. Anpassung bestehender Medikation, Ketogrippe etc.).
Knackpunkt der Ketose: Das „Entkoppeln“ der Mitochondrien
Neue Erkenntnisse holen die Ketone aus der reinen „Superbenzin-Ecke“. Ketone sind auch Signalmoleküle und damit sind wir dem „Knackpunkt“ der Ketose auf der Spur. Ketone erhöhen die Effizienz unserer Mitochondrien. Sie machen sie langlebiger und zahlreicher. Dafür müssen wir aber nicht auf alles andere verzichten.
Der Hintergrund: Die Endoxidation in den Mitochondrien ist mit hohem oxidativen Stress verbunden, mit hohem Aufkommen an aggressiven Sauerstoff-Verbindungen (freien Radikalen), welche die Mitochondrien schädigen. Unter voller Leistung sind die kleinen „Kraftwerke“ so wie ein Dampfdruckgarer. Sie stehen durch das Anfluten der Radikale unter starkem Druck, wie der Topf, wenn er kocht, und wie er haben Mitochondrien „Überdruckventile“. Wenn der oxidative Stress zu groß wird, können so Energie liefernde Bausteine die Mitochondrien über „Notausgänge“ verlassen und erzeugen Wärme statt ATP. Durch diesen als „Entkoppeln“ bezeichneten Vorgang können bis zu 30 Prozent der zugeleiteten Energie in Wärme umgewandelt werden – zum Schutz der Mitochondrien.
Neben dem Schutzsignal zum Entkoppeln wird die Vermehrung der Mitochondrien durch Teilung signalisiert. Das klingt zunächst nach Energieverschwendung. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Ketone vermindern dadurch Schäden durch oxidativen Stress und die Vermehrung verteilt die Last auf mehr Mitochondrien. Durch mehr gesunde Mitochondrien wird schließlich auch mehr Energie produziert und jeder Zelle steht mehr Energie zur Verfügung. Das macht uns insgesamt leistungsfähiger und verbessert die Zellgesundheit. Ketose verlängert die Lebenserwartung.
Nicht ganz auf Kohlenhydrate verzichten!
Das Mikrobiom, das bunte Bakterienvolk, das friedlich unseren Darm besiedelt, lebt von komplexen Kohlenhydraten, wie sie in Obst und Gemüse vorkommen. Der völlige Verzicht auf Ballaststoffe hungert das Mikrobiom aus und verschiebt seine Zusammensetzung – mit fatalen Folgen. Die Bakterien helfen uns nicht nur bei der Verdauung und sind als „Body-Double“ die Schule der Immunabwehr. Erdgeschichtlich sind sie auch „Geschwister“ der Mitochondrien. Sie sprechen die gleiche Sprache.
Ihre Sprache sind „Postbiotics“, Stoffwechselprodukte des Mikrobioms – kurzkettige Fettsäuren, wie Buttersäure, Essigsäure und auch Gase, wie Kohlensäure, Wasserstoff, Methan und Stickstoffmonoxid. Es gibt viele Körperfunktionen, die mit diesen Signalen im Gleichgewicht gehalten werden. Neben den Mitochondrien ist das auch unser Darmund Gehirnstoffwechsel.
Gesund und bunt in die Ketose: So geht´s!
Das Entkoppeln der Mitochondrien ist ein zentraler Vorteil der Ketose und lässt sich auch unter weniger starker Einschränkung von Kohlenhydraten (LowCarb) erreichen, mit einem gesundem Mikrobiom, mehr Lebensfreude und auch mehr gesundheitlichem Nutzen. Die Nahrung darf dabei bunt und schmackhaft sein. Dabei ist was wir essen nur ein Teil der Lösung. Vor allem kommt es auch darauf an, wann wir essen. Hierauf sollten sie achten:
1. Die Basis: Eine überwiegend pflanzliche und möglichst naturbelassene Kost. Viel Obst, Gemüse und frische Kräuter, Samen und Nüsse, etwas Fisch, Fleisch, Eier und Milchprodukte. Das versorgt uns ausreichend mit Energie, Vitalstoffen, Bausteinen für den Stoffwechsel und erhält das Mikrobiom gesund.
2. MCT´s (Medium Chain Triglycerides) sind Fette mit Fettsäuren mittlerer Kettenlänge. Im Vergleich zu den üblichen langkettigen Nahrungsfetten werden sie im Darm schneller aufgenommen und über die Pfortader direkt zur Leber transportiert, die daraus Ketone herstellt. MTC´s kommen natürlich in Butter, Palm- und Kokosöl vor. Sie haben im Vergleich einen zehn Prozent niedrigeren Energiegehalt, steigern aber den Energieverbrauch über die „Keton-Effekte“. Scharf anbraten sollten Sie damit allerdings nicht. Das erzeugt Bitterstoffe. MTC´s sollten auch nur im Mengenverhältnis steigen. Ihr Körper braucht insgesamt eine bunte Mischung an gesunden Fetten.
3. Polyphenole sind als Antioxidantien bekannt. Sie kommen u. a. reichlich in roten und blauen Früchten und Gemüsesorten vor. Erst die Darmbakterien setzen sie in aktive Metaboliten um, und nur diese können wir aufnehmen. Das Entkoppeln der Mitochondrien ist der Grund, warum Polyphenole danach antioxidativ wirken, die Flexibilität der Blutgefäße stützen und Entzündungen entgegenwirken – vorausgesetzt das Mikrobiom hat sie aktiviert.
4. Intermittierendes Fasten. Intervallfasten mit einer Essenspause von 16 Stunden täglich, etwa von 18 bis 10 Uhr oder von 20 bis 12 Uhr, rückt Ihren Körper regelmäßig ausreichend in die Ketose und entsorgt auf molekularer Ebene gleich den Müll mit. Zwei Stoffwechselprozesse, die die Zellgesundheit fördern. Die „Müllentsorgung“, die als Autophagie bekannt ist, entspricht dem Recyceln schadhafter Eiweiße und Zelltrümmer bei Nahrungsmangel. Sie unterdrückt Entzündungen und erhöht die Stressresistenz von Zellen. Schadhafte Eiweiße, wie das Amyloid-Protein, aus dem Gehirn von Alzheimer-Patienten sammeln sich nicht an und Tumor fördernde Wachstumsfaktoren, wie IGF-1, gehen zurück. Kaffee, Tee und Wasser sind in der täglichen Fastenzeit erlaubt und als Flüssigkeit wichtig.
5. Fermentiertes Essen. Sauerkraut und saure Bohnen scheinen gesund, weil sie probiotische Kulturen liefern. Tatsächlich aber werden die meisten durch Kochen oder Magensäure zerstört. Es sind die hohen Ballaststoffgehalte und die Postbiotics, die durch Mikroorganismen beim Fermentieren produziert werden. Sie fördern die Biodiversität des Mikrobioms, senken Entzündungsmediatoren und Milch- und Essigsäure sind ein wundervolles Entkoppelungssignal für Mitochondrien.
6. Polyamine. Eines der bekanntesten Polyamine ist Spermidin. Es kommt in Weizenkeimen vor, in Samen und in hartem fermentiertem Käse, wie Parmesan. Es ist ein extrem starker Entkoppler der Mitochondrien und einer der Schlüsselfaktoren der Autophagie.
7. Kälte und Hitze. Extreme Temperaturen aktivieren im Körper Gewebe schützende Eiweiße, sogenannte Hitze- und Kälteschock-Proteine. Hitzeschock-Proteine sind exzellente Mediatoren zum Entkoppeln der Mitochondrien. Dadurch kommt es zu einer dramatischen Verringerung von Gewebeschäden. Das lässt sich zur Gesundheitsprophylaxe nutzen (Sauna), aber auch durch Eisbäder.
8. Infrarotlicht. Infrarotlicht und benachbarte Frequenzen stehen ebenfalls unter Verdacht die Mitochondrien zu entkoppeln. Die regelmäßige Exposition, etwa in Infrarotkabinen, wirkt sich günstig auf die Zellgesundheit aus und mildert chronische Entzündungen.
Erschienen in:

Ausgabe Nr. 45 (Juli/Aug. 2022)
Zucker – weißes Gift oder doch ganz harmlos?
Klar, wir alle essen zu viel Zucker und einfache Kohlenhydrate. Aber warum eigentlich? Und was ist so schlimm daran? Die Biologin Julia Tulipan erklärt die Zusammenhänge.