Fett - Sündenbock oder Bösewicht...ein unterschätzter Nährstoff mit überraschenden Seiten

01.11.22 12:00 AM Von Mag. Julia Tulipan

Fett macht dick. Fett macht krank. Fett verstopft die Arterien. Wohl kaum ein Nährstoff hat so einen schlechten Ruf wie das Fett. Doch stimmt das wirklich? In diesem Artikel widmen wir uns den wichtigsten Fragen rund um Fette und werden mit so mancher fetten Lüge aufräumen.

Kleines 1 x 1 der Fette

Alle Fette und Öle bestehen aus einer Mischung unterschiedlicher Fettsäuren. Eine Fettsäure ähnelt einer Kette, wobei die Kettenglieder aus Kohlenstoffmolekülen bestehen. Fettsäuren werden in erster Linie hinsichtlich ihrer Kettenlänge, also nach der Anzahl ihrer Glieder, unterschieden und in zweiter Linie danach, wie viele Doppelbindungen sie enthalten. 

Gesättigte Fettsäuren: keine Doppelbindungen 

Einfach ungesättigte Fettsäuren: eine Doppelbindung 

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren: zwei oder mehr Doppelbindungen

Wofür ist Fett wichtig?

Fettsäuren erfüllen wichtige biologische Funktionen in unserem Körper. Pauschal einige davon als böse oder schlecht zu bezeichnen, ist nicht hilfreich. Gesättigte Fettsäuren sind besonders unempfindlich gegenüber Oxidation. Das heißt sie werden nicht so schnell ranzig, wie zum Beispiel mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Je ungesättigter um so empfindlicher. Gesättigte sind unter anderem wichtig für unser Gehirn, die Bildung von Sexualhormonen und die schützende Schicht um unsere Nervenbahnen, die sogenannte Myelinscheide.

Einfach ungesättigte Fette gelten als neutral und dienen in erster Linie der Energiebereitstellung. Die mehrfach ungesättigten Fette hingegen haben eine wichtige Signalfunktion und regulieren unter anderem Entzündungsreaktionen. Hier sind in erster Linie die Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren zu nennen.

Fette haben auch eine wichtige Funktion in der Regulation von Hunger und Sättigung. Sie verbessern das Sättigungsgefühl über bestimmte Signalgeber im Darm. Außerdem sind sie für die Aufnahme der fettlöslichen Vitamine (Vitamin A, D, E und K) essenziell. 

Vorsicht vor oxidierten Fetten

Problemtisch werden Fette dann, wenn sie oxidieren, oder anders gesagt, ranzig werden. Die größten Gefahren für Fette stellen Licht, Sauerstoff und Wärme dar. Die empfindlichsten unter den Fettsäuren, die mehrfach ungesättigten Fettsäuren, sollten daher auf keinen Fall erhitzt werden. Weder bei der Herstellung noch in der Küche. Besonders sensible Öle, wie zum Beispiel das Leinöl, sollten im Kühlschrank und in einer Flasche mit dunklem Glas aufbewahrt werden.

Gesättigte Fette sind nicht schlecht für die Gefäßgesundheit

Leider hält sich das Vorurteil hartnäckig, dass gesättigte Fette per se schlecht sind und das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen erhöhen. Tatsache ist, dass diese Assoziationen ausschließlich aus Beobachtungsstudien kommen und diese keinen Schluss auf einen Kausalzusammenhang erlauben. Alle kontrollierten Studien, die sich der Fragestellung gewidmet haben, kommen dagegen zu dem Schluss, dass gesättigte Fette keinen oder sogar einen positiven Effekt auf alle Herz-KreislauferkrankungsRisikofaktoren haben. 

Eine klinische Studie, unter der Leitung des Boston Children's Hospital und Dr. David Ludwig, wurde erst 2021 veröffentlicht.1

In dieser Studie wurden die Patienten nach dem Zufallsprinzip in eine von drei Diäten zur Gewichtsreduzierung eingeteilt, die sie dann 5 Monate (20 Wochen) lang einhielten. Die Diäten enthielten alle 20 % Eiweiß, unterschieden sich aber im Kohlenhydrat- und Fettgehalt wie folgt:

Wenig-kohlenhydrathaltig (Low-carb): 20 % Kohlenhydrate, 21 % gesättigte Fette 

Mäßig-kohlenhydrathaltig: 40 % Kohlenhydrate, 14 % gesättigte Fette Hoch-kohlenhydrathaltig: 60 % Kohlenhydrate, 7 % gesättigte Fettsäuren

Dies war eine streng kontrollierte Studie. Die Studienteilnehmer erhielten vollständig zubereitete, maßgeschneiderte Mahlzeiten, die sie entweder in der Cafeteria verzehren oder mitnehmen konnten. 

Die Forscher fanden Folgendes heraus: „Menschen, die sich kohlenhydratarm ernährten, wiesen stärkere Verbesserungen bei Markern wie Triglyceriden, Adiponektin, Blutdruck und Lipoprotein(a) auf als Menschen, die sich mäßig oder stark kohlenhydratreich ernährten. Und dies ohne negative Auswirkungen auf den Cholesterinspiegel oder die kardiovaskulären Marker.“

Auf der anderen Seite zeigt sich, dass eine Ernährungsweise mit einer hohen glykämischen Last sowohl das Risiko für Herz-KreislaufErkrankungen deutlich erhöht als auch die Gesamtsterblichkeit negativ beeinflusst.2

Das sind die besten Fette und Öle für die Küche

Hohe Temperaturen: 

Kokosöl, Kakaobutter, Butterschmalz, Rindertalg, Schweineschmalz Nierige Temperturen: 

Butter, Olivenöl, Distelöl mit einem hohen Ölsäuregehalt 

Kalte Speisen: 

Leinöl, Nussöle, Hanföl, Kürbiskernöl.

Omega-3 und Omega-6

Die für uns wichtigsten Omega-3-Fettsäuren sind DHA (Docosahexaensäure) und EPA (Eicosapentaensäure).

EPA spielt bei vielen Funktionen des Stoffwechsels eine wichtige Rolle, u. A. bei der Blutgerinnung und dem Immunsystem. Wobei EPA in die längerkettige DHA umgewandelt werden kann. DHA ist ein zentraler Bestandteil der Zellmembran, besonders von Nervenzellen. DHA ist essentiell für eine normale Gehirnentwicklung und auch für die Gesunderhaltung aller Nervenzellen. Omega-3-Fettsäuren regulieren zum Beispiel Signalübertragung und Genexpression und schützen dadurch Nervenzellen vor frühzeitigem Absterben.3

Das „Centre for Evidence Based Intervention“ der University of Oxford in England veröffentlichte 2012 die Ergebnisse einer Studie mit Kindern. Die Forscher untersuchten den Zusammenhang zwischen der Fettsäurenzusammensetzung im Blut der Kinder und Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnis und Aufmerksamkeitsstörungen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass ein niedriger Omega-3-Status mit einem erhöhten Auftreten von Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten sowie allgemeinen Verhaltensauffälligkeiten assoziiert war.4

Die wichtigsten Quellen für diese beiden Omega-3-Fettsäuren sind wildgefangener Fisch, grasgefütterte Weidetiere und Hühner aus Freilandhaltung. Fische nehmen DHA und EPA über bestimmte Algen auf und reichern diese dann im Gewebe an.

Was ist mit Omega-3 aus Pflanzen? 

Einige wenige Pflanzensamen, wie zum Beispiel der Leinsamen, enthalten auch eine Omega-3- Fettsäure – die Alpha-Linolensäure (ALA). Die Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren alleine über ALA ist nicht ausreichend. ALA muss erst zu EPA und DHA umgewandelt werden. Die Effizienz dieses Umwandlungsprozesses ist äußerst schlecht. Nur etwa 4 % des ALA können zu EPA und DHA umgewandelt werden.5

Omega-6-Fettsäuren 

Omega-6-Fettsäuren sind die prominentesten Fettsäuren in Pflanzenölen. Die einzigen Ausnahmen bilden Kokosöl, Palmöl, Leinöl, Hanföl und Olivenöl. Auch Omega-6-Fettsäuren sind essenziell, dies bedeutet, dass wir sie mit der Nahrung zu uns nehmen müssen. Da Omega-6-Fettsäuren in der westlichen Ernährung wesentlich häufiger sind als Omega-3- Fettsäuren, muss hier kein besonderer Fokus auf die Aufnahme gelegt werden.

Omega-6 zu Omega-3 Ratio 

Es kommt also auf das Verhältnis von Omega-6 zu Omega-3 in unseren Zellen an. Aus Untersuchungen traditioneller Jäger-Sammler-Gesellschaften und Kulturen, bei denen wir eine hohe Lebenserwartung mit wenig chronischen Erkrankungen finden, wie zum Beispiel die Bewohner von Okinawa, sehen wir ein Verhältnis von 1:1 bis 4:1.6,7 

Keine Angst vor Fett. Gesättigte und einfach ungesättigte Fette spielen eine wichtige Rolle in einer ausgewogenen Ernährung. Fett macht nicht nur satt, sondern wird auch für viele Funktionen in unserem Körper benötigt. Besonders im Kontext einer kohlenhydratarmen Ernährung darf und soll der Fettanteil erhöht werden.

Ein besonderer Fokus sollte auf der Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren aus Algen oder Fischöl liegen. Denn nur dieses liefert die wichtigen Omega-3-Fettsäuren DHA und EPA in ausreichender Menge. 

Merke:

1. Protein - zuerst

Stellen Sie in Ihrer Ernährung eine ausreichende Versorgung mit hochwertigem Protein sicher (s. reformleben Nr. 46 "Protein - der vergessene Nährstoff"). Ihr Körper braucht diesen Baustoff und wir neigen mit zunehmendem Alter, bei abnehmender Verwertung, nicht genug davon aufzunehmen.

2. Kohlenhydrate kontrollieren

Vermeiden Sie hohe Blutzuckerspiegel indem Sie sich bewusst machen, welche Menge an Kohlenhydraten sie zu sich nehmen und wie diese auf Ihren Körper wirken (s. reformleben Nr. 45 "Zucker - weißes Gift oder doch ganz harmlos?"

3. Fett 

Keine Angst Natürliche gesättigte Fette sind gesund und sollten nicht gemieden werden. Achten Sie daneben auf eine ausreichende Versorgung mit Omega-3-Fetten und auf ein ausgewogenes Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fetten.

Quellen:

1Ebbeling, Cara B., et al. "Effects of a low-carbohydrate diet on insulin-resistant dyslipoproteinemia—a randomized controlled feeding trial." The American Journal of Clinical Nutrition (2021). 

2 Jenkins, David JA, et al. "Glycemic index, glycemic load, and cardiovascular disease and mortality." New England Journal of Medicine 384.14 (2021): 1312-1322. 3Wu, Aiguo, Zhe Ying, and Fernando Gomez-Pinilla. "Dietary omega-

3 fatty acids normalize BDNF levels, reduce oxidative damage, and counteract learning disability after traumatic brain injury in rats." Journal of neurotrauma 21.10 

4Montgomery P. 2012. Blood Omega-3 Concentrations Are Associated With Reading, Working Memory And Behaviour In Healthy Children Aged 7-9 Years. Centre for Evidence Based Intervention, University of Oxford, United Kingdom 

5Brenna JT. 2002. Efficiency of conversion of alpha-linolenic acid to long chain n−3 fatty acids in man. Curr Opin Clin Nutr Metab Care.5:127–32 

6Populations maintaining historic omega-6 to omega-3 ratios (approximately 1 to 1) are protected from many of the scourges of the modern age.” Source: Andrew Stoll, The Omega-3 Connection. New York: Simon and Schuster, 2001, p. 43 

7 Simopoulos, Artemis P. “The importance of the ratio of omega-6/omega-3 essential fatty acids.” Biomedicine & pharmacotherapy 56.8 (2002): 365-379.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 47 (Nov./Dez. 2022)

Ohne Befund doch nicht gesund

Die moderne Medizin konfrontiert uns mit einer Vielzahl an Befunden. Gleichzeitig bleibt der Grund mancher Beschwerden im Dunkeln. Dr. Klaus Mohr über eine Diagnostik, die immer noch zwischen Körper und Seele trennt./p>

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Mag. Julia Tulipan

Mag. Julia Tulipan

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Frau Tulipan ist Biologin und Master of Science in klinischer Ernährungsmedizin. Die Liebe zur Naturwissenschaft begleitet sie schon ihr ganzes Leben und bildet die Grundlage ihrer Beratungsphilosophie.