Das Fasten gehört seit jeher zum Mensch- und Tierreich. Fastenperioden finden wir fest verwurzelt in zahlreichen Kulturen, meist in einem religiösen Kontext. Evolutionär gesehen war es für uns, wie für jedes andere Tier, vollkommen normal, mehrere Stunden oder Tage ohne Nahrung auskommen zu können. Ohne diese Fähigkeit hätte die Spezies Mensch kaum überlebt.

Heute stellt sich die Situation, vor allem in den Industrieländern, etwas anders dar. Wir sind 365 Tage im Jahr mit Essen versorgt. Durch die chronische Überversorgung mit hochverarbeiteten Kohlenhydraten kommt es zu einer zunehmenden Insulinresistenz, so fällt bei den meisten der Blutzucker bereits zwei Stunden nach der letzten Mahlzeit stark ab, und löst den Drang zur erneuten Nahrungsaufnahme aus. Längere Perioden ohne zu Essen ist für viele Menschen kaum vorstellbar und nur mit großem Unbehagen zu ertragen.
Für Menschen, die bereits eine Zeit lang nach Low-Carb Prinzipien leben, ist das zwischenzeitliche Fasten aber überhaupt kein Problem, denn die Energie kommt aus den angelegten Fettreserven und dem Nahrungsfett. Die Abhängigkeit von Zucker und Kohlenhydraten ist minimal. Dies entspricht unserer eigentlichen evolutionären Blaupause und wird auch als Stoffwechselflexibilität bezeichnet.
Warum Fasten sinnvoll sein kann
Fasten hat zahlreiche positive Effekte auf den Körper. Auf die wichtigsten werde ich gleich noch im Detail eingehen. Neben physiologischen Auswirkungen auf Hormone, Zellerneuerung, Insulinsensitivität und Leberentfettung hat der Verzicht auf Nahrung auch psychologische Effekte. Viele beschreiben es als eine Art „Reset“ oder Entwöhnungsphase, die dabei hilft, ungünstige Ernährungsgewohnheiten abzulegen und den Teufelskreis zu durchbrechen. Somit können ein paar Fastentage die ideale Einleitung sein, um nachhaltig und langfristig Ernährung und Lebensstilveränderungen einzuführen.
Geplanter Selbstmord – bei Zellen durchaus wichtig
In unserem Körper wird ständig auf- und umgebaut. Hormone, Proteine, Zellmembranen müssen aufgebaut und erneuert werden. Der Transport in und aus der Zelle benötigt Energie in Form von ATP. Der Körper macht nie Pause, 24 Stunden, 365 Tage.
Kommt es zu einem Versorgungsengpass, und da reichen schon 14 Stunden aus, beginnt der Körper die Recycling-Anlagen anzuwerfen. „Auto“ bedeutete selbst und „phagie“ bedeutet essen, also „sich selber essen“. Der Mechanismus der Autophagie ist sehr wichtig und stellt eine Art „Müllabfuhr“ in unserem Körper dar. Gibt es von außen nicht genügend Nachschub, muss der Körper mit eigenen Ressourcen besser haushalten. Darum werden z.B. schadhafte Zellen in den kontrollierten Selbstmord (= Apoptose) geschickt und Proteine und andere organische Verbindungen, die nicht mehr benötigt werden, abgebaut, um daraus neue Komponenten aufbauen zu können.1
Ein weiterer Spieler ist mTOR (Mammalian Target of Rapamycin). Dabei handelt es sich nicht um den Namen eines Superhelden, sondern um einen wichtigen Rezeptor, der bei der Proteinsynthese im Muskel(Aufbau) eine zentrale Rolle spielt und Zellwachstum und Zellzyklus steuert. Fasten führt zu einem Abfall der Energieversorgung und zu einer Hemmung von mTOR und Aktivierung von AMPK. AMPK ist der Gegenspieler von mTOR und steigert die Autophagie.
Abnehmen nicht im Vordergrund
Auch wenn man beim Fasten, vor allem bei den Formen, die sich über mehrere Tage erstrecken definitiv abnehmen wird, ist der Gewichtsverlust nicht das oberste Ziel des Fastens. Fasten hat sehr viele positive Effekte auf unsere Gesundheit, unabhängig vom Gewichtsverlust. Nutzt man das Fasten als Methode zur Gewichtsreduktion oder zum Gewichtsmanagement, dann läuft man Gefahr in einen klassischen Jo-Jo-Zyklus hineinzugeraten. Um Gewicht zu reduzieren, ist es in erster Linie wichtig, die richtigen Lebensmittel zu essen, Mikronährstoffmängel auszugleichen und Stress zu reduzieren. Fasten, oder bestimmte Formen des Fastens, wie zum Beispiel das Leberfasten2, stellen dann ein weiters Werkzeug in meinem Werkzeugkoffer dar. Aber es ist nicht die Wunderwaffe oder das Mittel der Wahl bei Übergewicht.

Chronisches Energiedefizit führt zu langanhaltenden und teilweise dauerhaften Veränderungen im Stoffwechsel. Es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, die zeigen, dass es zu einer signifikanten Reduktion des Grundumsatzes (REE) kommt, der sich durch den Gewichtsverlust allein nicht erklären lässt. Diese Reduktion kann über viele Jahre erhalten bleiben. Die Daten dazu stammen aus der Biggest Loser Studie von Dr. Kevin Hall. Hier wurden Teilnehmer der Biggest Loser Fernsehshow über 6 Jahre lang begleitet. Alle, bis auf eine Teilnehmerin, hatten sechs Jahre später wieder ihr ursprüngliches Gewicht oder sogar mehr. Der Grundumsatz ist deutlich reduziert, auch noch nach sechs Jahren. Bei einigen sogar um bis zu 700 kcal.3
Fasten – aber wie?
Fasten ist definiert als der freiwillige Verzicht auf Nahrung und/oder Flüssigkeit für eine bestimmte Zeitperiode. Das Wort Fasten hat seinen Ursprung im Althochdeutschen und bedeutet „an den Geboten der Enthaltsamkeit festhalten“.
„Hungern ist ein unfreiwilliger und unkontrollierbarer Zustand aufgrund fehlender Nahrungsmittel. Fasten hingegen bedeutet freiwilliger Verzicht auf Nahrung in einem von uns selbst bestimmten Zeitfenster. “Dr. Jason Fung
Die klassischen Fastenprogramme sind meistens auf einen Zeitraum von einer Woche angelegt und reichen von vollkommenem Nahrungsverzicht bis hin zu klarer Suppe oder Gemüsesäften. Die Dauer von mehreren Tagen bringt, gerade für den Anfänger, einige Probleme mit sich.
- Wer noch nie in seinem Leben länger als 3 Stunden ohne Essen verbracht hat und dann eine ganze Woche fasten möchte, geht durch die Hölle. Aus diesem Grund nehmen sich viele für diese Zeit Urlaub.
- Leistungsverlust – zumindest in den ersten 2-3 Tagen ist man einfach zu nichts zu gebrauchen.
Das klingt nicht sehr verlockend. Zum Glück gibt es alternative Fasten-Regime, die fast ebenso effektiv, aber weniger mühsam sind.
Intermittierendes Fasten (IF)
Intermittierend bedeutet „mit Unterbrechungen“ und heißt, dass Fastenperioden von Essensperioden unterbrochen werden. Die Fastenperioden dauern ca. 12–24 Stunden, je nachdem für welche Methode man sich entscheidet.
Intermittierendes Fasten ist keine exakte Wissenschaft, sondern es gibt viele verschiedene Modelle, wie IF in den Alltag integriert werden kann. Die zwei populärsten IF-Regime sind 16:8 und OMAD (One-Meal-A-Day). Bei 16:8 wird ein Zeitfenster von maximal 8 Stunden für die Nahrungsaufnahme festgelegt. OMAD bedeutet, dass nur einmal pro Tag eine große Mahlzeit gegessen wird. OMAD ist nur bei sehr starkem Übergewicht oder als kurzfristige Intervention geeignet. Die Gefahr, dass es bei längerfristigem Durchführen zu einer Unterversorgung an Aminosäuren und Mikronährstoffen kommt, ist sehr hoch.
Alternate Day Fasting
Beim „Alternate Day Fasting“ findet ein Wechsel zwischen Fastentag und Esstag statt. Dabei wird jeweils für 24 Stunden gefastet. Eine andere Umsetzung dieses Konzepts wäre das 5:2-Modell, bei dem an fünf Tagen pro Woche normal gegessen und an zwei Tagen gefastet wird.
Ketogene Ernährung und Scheinfasten
Was hat die ketogene Ernährung mit Fasten zu tun, werden Sie sich vielleicht fragen. Nun, der Ursprung der ketogenen Ernährung liegt 100 Jahre zurück. In den 1920er Jahren fanden Dr. Wilder und sein Kollege Dr. Peterman, beide Ärzte an der renommierten Mayo Clinic in Cleveland heraus, dass eine Diät, die einen Anstieg der Ketone im Blut ermöglichte die Anfälle bei Kindern mit Epilepsien reduzierte. Die ketogene Diät wird auch als „Fasten nachahmende“ Diät bezeichnet, denn die Bildung von Ketonen ist das Markenzeichen des Fastenstoffwechsels.
Es ist so, dass man durch eine ketogene Ernährung bereits viele Vorteile, die das Fasten bringt, mitnehmen kann. Ganz ohne Nahrungsverzicht.
Eine andere Methode ist das sogenannte „Scheinfasten“. Das Scheinfasten geht über einen Zeitraum von 5 Tagen. Dabei werden pro Tag etwa 400–500 kcal gegessen. Das Wichtige dabei ist, dass diese Mahlzeiten sehr fett- und proteinarm sind. Das aktiviert die RecyclingProzesse.
Wer sollte besser nicht fasten
Ich möchte betonen, dass Fasten auf keinen Fall für jeden und jede geeignet ist. Auch wenn das Fasten nachweislich viele gesundheitliche Vorteile bringen kann, gibt es Menschen, die unbedingt davon Abstand nehmen sollten. Dazu gehören:
- Menschen mit Essstörungen wie Magersucht, Bulimie oder Binge Eating.
- Menschen mit Herz-, Nieren- oder Lebererkrankungen (oder nur nach expliziter Freigabe durch Arzt und mit engmaschiger Kontrolle!)
- Schwangere und stillende Frauen — hier kann es sogar tatsächlich zu einer Azidose (Übersäuerung - Blut-pH-Wert < 7,35) kommen.
- Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
- Menschen mit Burn-Out-Syndrom; vor Kurzem überstandener schwerer Stress
- Depressive Menschen mit seelischen Störungen
Zusammenfassung
Um die vielen gesundheitlichen Vorteile, die das Fasten mit sich bringen kann, wirklich nutzen zu können, gibt es einige Rahmenbedingungen, die erfüllt sein sollten.
Fasten ist oft eine neue und ungewohnte Situation. Lassen Sie sich und Ihrem Körper Zeit sich darauf einzustellen. Es sollte nichts erzwungen werden. Fühlen Sie sich nicht wohl, dann brechen Sie den Fastenversuch ab und versuchen Sie herauszufinden, woran es gelegen haben könnte. Manche Menschen besitzen oft noch nicht die notwendige metabolische Flexibilität. Bei Ihnen schafft es der Körper nicht, ausreichend Fett oder Ketonkörper zu mobilisieren, um niedrige Blutzuckerwerte auszugleichen.
Damit der Körper aus Fett und Ketonen Energie machen kann, braucht es gesunde Mitochondrien. Liegt hier zum Beispiel eine Einschränkung vor, dann kann Fasten sehr belastend oder sogar unmöglich sein.
Durch das Fasten werden oft Gifte freigesetzt, die über Jahrzehnte im Fettgewebe gespeichert worden sind. Darum ist es besonders wichtig, dass Leber und Nieren gesund sind. Die Entgiftung kann durch zusätzliche Einnahme von bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln, wie Mariendistelextrakt oder Methylsulfonylmethan (MSM), unterstützt werden. Außerdem ist eine ausreichende Versorgung mit allen B-Vitaminen und Folsäure unbedingt notwendig, um eine adäquate Entgiftung zu ermöglichen.
Quellen:
1 Alirezaei, Mehrdad, et al. „Short-term fasting induces profound neuronal autophagy.“ Autophagy 6.6 (2010): 702- 710.
2 Fastenprogramm nach Prof. Dr. Nicolai Worm gegen Fettleber
3 Fothergill E, Guo J, Howard L, Kerns JC, Knuth ND, Brychta R, Chen KY, Skarulis MC, Walter M, Walter PJ, Hall KD. Persistent metabolic adaptation 6 years after "The Biggest Loser" competition. Obesity (Silver Spring). 2016 Aug;24(8):1612-9. doi: 10.1002/ oby.21538. Epub 2016 May 2. PMID: 27136388; PMCID: PMC4989512.
Erschienen in:

Ausgabe Nr. 49 (März/April. 2023)
Entwurzelt
Viele Krisen unserer Zeit hat der Mensch sich selbst eingebrockt. Helfen kann - so Dr. Klaus Mohr - eine Rückbesinnung auf unsere Wurzeln und eine Orientierung an der Pflanzenwelt. Weniger ist eben oft mehr!