Ohne Befund... doch nicht gesund

01.11.21 12:00 AM Von Dr. med. Klaus Mohr

Ohne Befund! Einmals war das eine sehr erfreuliche Auskunft. Obgleich deren Zuverlässigkeit vor den enormen Fortschritten der Medizin, vor allem der Bildgebung und der Laboranalytik noch nicht so hoch war. Ohne Befund bedeutete da, wahrscheinlich besteht keine schwerwiegende Krankheit.

Inzwischen, die Medizin hat wie gesagt große Fortschritte gemacht, ist kaum ein Mensch ohne einen pathologischen Befund - oder mehrere. Das kann bedeutungsvoll sein, für eine ungünstige Prognose stehen - kann aber auch wenig relevant sein. Da viele Menschen mit etlichen Befunden versehen sind, ist es mitunter schwierig, den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen noch zu sehen. Zudem hängt die Prognose nicht allein von dem körperlichen Befund ab sondern auch von der mentalen Verfassung. 

In die Praxen kommen aber auch Menschen mit Erkrankungen, Symptomen und Leiden, die mit den bisher erhobenen Befunden  kaum erklärbar sind. Für die Patientinnen/Patienten ist das belastend – und für die Medizin eine Herausforderung. Am Universitätsklinikum Marburg besteht ein renommiertes Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen. Auf die Anamnese, die Krankheitsgeschichte, die in manchen Fachpraxen recht kurz kommt, wird da besonderer Wert gelegt. Die Krankheitsgeschichte kann sehr aufschlussreich sein.


Nach kurz gefasster Anamnese, häufig mittels Fragebogen, eher selten sehr gründlicher Befragung, wird in der Regelversorgung (Selbstzahler könnten die beachtlichen Kosten alleine schwerlich nur aufbringen) vor allem mit technikgestützten Untersuchungen eine große Zahl von Befunden erhoben, bevorzugt durch Bildgebung (CT, MRT, Szintigraphie, PET und weitere), durch Endoskopien, Punktionen und Laboranalysen. Gewiss sind einige davon relevant und können daher zu früherem Entdecken und Therapieren von Krankheiten verhelfen. Eingreifende Medizin wird damit weitaus wirksamer und effektiver. Glücklicherweise jedoch ist ein Großteil aller erhobenen Befunde „negativ“ (so die Sprachregelung), also kein Anzeichen einer Erkrankung. Selbstverständlich war im Vorfeld nicht vorauszusehen, ob der Befund positiv oder negativ ausfallen würde. Vor allem nach oberflächlicher Anamnese nicht. Andererseits wird bei sehr hohem Sicherheitsanspruch zwangsläufig eine Reihe negativer Befunde entstehen, was für die Untersuchten dann doch ganz erfreulich ist.

Selbstverständlich sind die Untersuchenden verpflichtet, jeden Krankheitsverdacht ernstzunehmen und abzuklären. Nicht selten finden sich dann bei einzelnen Patientinnen/ einzelnen Patienten auf einen Schlag zahlreiche positive Befunde. Mit den Lebensjahren nimmt die Polymorbidität zu. Deshalb werden auf manchem Entlassungsbericht nach stationärer Behandlung im Krankenhaus bis zu zehn, zwölf – oder noch mehr – Diagnosen notiert -und dementsprechend zahlreiche Medikamente verordnet. Ein Medikament oder zwei, mitunter auch mehr. Entsprechend den Leitlinien und Empfehlungen der Fachgesellschaften, evidenzbasiert, die sorgfältig zu beachten sind. Mit der konsequenten Einnahme der Vielzahl von Medikamenten sind viele Patientinnen/Patienten schlicht überfordert. Deshalb sind die Arztpraxen zum Erstellen und Aushändigen von Medikamentenlisten mit genauen Dosierungsangaben verpflichtet. Da wegen der von Krankenkassen ausgehandelten Rabattverträge von Verordnung zu Verordnung manchmal Medikamente unterschiedlicher Hersteller, unterschiedlich aussehend, wenngleich mit identischen Wirkstoffen abgegeben werden, sind Patientinnen und Patienten zusätzlich irritiert. Wohl deshalb soll Apothekerinnen und Apothekern ein großzügiges Honorar (von den Krankenkassen aus dem Beitragsaufkommen zu zahlen) für die eingehende Beratung der Patienten gewährt werden. Obgleich die Beratung zur Medikamenten-Abgabe bisher schon selbstverständliche Pflicht der Apothekerschaft war. Heute ist in Datenbanken und Listen eine stattliche Zahl von Neben- und Wechselwirkungen der Medikamente aufgelistet. Verordnende Ärztinnen/Ärzte sollten die gut kennen.

Dazu besteht weithin Konsens, dass bei der Anwendung von mehr als vier eingreifenden Medikamenten pro Patient und Tag die Wechselwirkungen nicht absolut sicher überschaubar sind. Wie viele derartige Medikamente müssen Sie nehmen? Im Kliniks- und Praxisalltag werden schon jeder dritten Patientin/ jedem dritten Patienten im 70.-75. Lebensjahr 5-8 eingreifende Wirkstoffe gleichzeitig verordnet, in späteren Jahren noch mehr. Polymedikation kann mitunter notwendig sein, ist aber oft problematisch. 

Umfassende Untersuchung, mehr und mehr mit Einsatz niederschwellig zugänglicher bildgebender Technik und maximaler Laboranalytik ist heute obligat. Etliche Krankheiten können so früher entdeckt und therapiert werden. Darüber hinaus sind die Befunde und Diagnosen nicht nur für die Therapie wichtig, sondern auch für die Rechtfertigung gegenüber Krankenversicherungen, Sozialund Rentenkassen, für die Honorierung von Krankenhäusern und Vertragsärzten, sowie für die Entscheidungen über Pflege-, Sozialund Versorgungsleistungen.

Bei manch einem Patienten/manch einer Patientin jedoch sind die lange schon bestehenden Erkrankungen/Leiden/Beschwerden/ Symptome mit den bis dahin erhobenen – meist zahlreichen – Untersuchungen und Befunden nicht erklärbar. In der Hoffnung auf Hilfe sind dann oft auch schon mehrere Spezialisten konsultiert worden. Weitere Untersuchungen sind da durchgeführt worden, bei denen sich weitere Parameter als potenziell pathologisch erwiesen und die Therapien modifiziert bzw. erweitert wurden. Dennoch bleiben mitunter die Symptome und das Leiden. Verständlicherweise sind die Behandelten dann ebenso wie die Behandelnden darüber unglücklich. Psychosomatische Genese wird daraufhin in Betracht gezogen, die Patienten/Patientinnen werden zur Psychotherapie überwiesen. Dementsprechend lang sind die Wartezeiten auf einen Termin zur psychotherapeutischen Behandlung. Und wenn die durchgeführt wurde, sind längst nicht alle Patientinnen/Patienten geheilt.

Ohnehin halten die meisten Betroffenen somatische d.h. körperliche Probleme/Störungen für die Hauptursache ihrer Probleme. Das ist schon deswegen naheliegend, weil auch die Symptome hauptsächlich im Körper gespürt und wahrgenommen werden. Noch naheliegender ist das, wenn die Beeinträchtigung nach einer körperlichen Erkrankung einsetzt. Etwa nach einer Infektion. Vor allem nach Virusinfektionen treten bei etlichen Patientinnen/Patienten erstaunlich gleichförmige Symptommuster und Einschränkungen auf, während die üblichen Untersuchungsmethoden keine charakteristischen oder relevanten Befunde aufweisen.

Vor wenigen Jahrzehnten noch wurde da angenommen, das sei „psychisch“, d.h. von seelischen Problemen und Leiden bedingt. Wechselwirkungen zwischen Leib und Seele sind erfahrenen Ärztinnen/Ärzten schon sehr lange bekannt. Wie schon den Philosophen in der Antike. Willst du den Körper heilen, musst du zuerst die Seele heilen, hat schon Platon gelehrt. Danach jedoch hatte sich vor allem die körperorientierte Medizin, vor allem durch Einbezug der Medizintechnik, stärker entwickelt. Im Gegenzug entstand im 19. Jahrhundert die Psychosomatik als ganzheitlicher Ansatz. Wirksam und klar findet der sich auch bei Buddha (das wegweisende Buch von Raoul Birnbaum: Der heilende Buddha, Heilung und Selbstheilung – eine Einführung in das altbewährte psychosomatische Heilsystem des Buddhismus – ist derzeit leider nur antiquarisch verfügbar). Neu begründet im 20. Jahrhundert von Ludolf von Krehl, Victor Frankl, Viktor von Weizsäcker, Hans Selye (psychophysiologisches Stressmodell), Medard Boss (Daseinsanalyse) und Thure von Uexküll wurde das ganzheitliche psychosomatische Verständnis von den spektakulären Möglichkeiten der technischen und pharmazeutischen Medizin jedoch in den Schatten gestellt. Der Sieg im Kampf gegen sehr viele Krankheiten, gegen das Altern vielleicht sogar – obgleich nicht versprochen- gegen den Tod schien damit erreichbar zu werden. Zweifellos wurde einiges so erreicht. Dafür kann man/frau bestimmt dankbar sein.

Doch gleichzeitig sind weitere Krankheiten entstanden, die schwer beeinflussbar sind und chronisch verlaufen. Die Betroffenen leiden körperlich und auch psychisch, jedoch finden sich nicht immer relevante Befunde. Weniger relevante Befunde hingegen werden, auch aus Verlegenheit leicht überbewertet. Auch das Etikett psychische Krankheit oder psychosomatische Krankheit ist erst mal nicht sehr hilfreich.

Dennoch führt ganzheitliches psychosomatisches Verständnis weiter. Darin ist der immer noch kursierende Dualismus, die gedachte Trennung von Körper und Seele, nach der jeder Bereich dem einschlägigen Spezialisten zu überweisen sei, überholt. Ebenso überholt ist die Auffassung die jeweilige Erkrankung sei ausschließlich im körperlichen oder im seelischen Bereich lokalisiert und da zu behandeln.

Wichtige Impulse für die Psychosomatik und mehr noch für die Medizin im ganzen kommen aus der Psychoneuroimmunologie sowie der Psychoneuroendokrinologie seit etlichen Jahren. Die sperrigen Bezeichnungen stehen für fundierte Kenntnisse zur Wechselwirkung zwischen Körper und Geist und Seele. Damit wird klarer, wie Denken, Fühlen, Empfinden, Stress oder ein unbewältigter Konflikt auf das Immunsystem sowie die Hormonproduktion wirkt. Und wie umgekehrt Immunreaktionen sowie Hormone auf die Seele wirken. Einiges ist schon gesichert, vieles noch intensiver zu erforschen.

Schritt für Schritt können wir nun besser verstehen – und ansatzweise beheben – wie sich ständiger belastender, unbewältigter Stress auf die Sekretion etwa von Nebennierenrindenhormonen, v. a. von Cortisol, aber auch von Katecholaminen des Nebennierenmarks, Adrenalin und Noradrenalin auswirkt, sowie auf den Stoffwechsel und die Botenstoffe im Zentralnervensystem. Wie der Zuckerkonsum, vor allem bei Bewegungsmangel, auf die Ausschüttung von Adrenalin und die Adrenalindominanz wirkt. Welch positive Wirkung körperliche Bewegung hat. 

Wie durch Bewegungsmangel und Stress Zivilisationskrankheiten begünstigt werden, sowie Immunstörungen und Autoimmunkrankheiten. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen, und nicht um Klassifizierung in der Art „das ist doch psychisch“ oder auch „das ist allein körperlich“. Es geht um tiefere Einsicht und damit ganzheitliche, bessere Behandlung, bis hin zur potentiellen Heilung. Mit Technisierung und Medikamenten, deren Bezeichnung mit Anti beginnt, allein ist das nicht zu schaffen.

Wie schwer sich die Psychosomatik sowie die körperorientierte Medizin damit tut, ist an einer neuen Diagnose/Bezeichnung im DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen) abzulesen: Somatic Symptom Disorder, d. h. körperliche symptomatische Störung. Womit behutsam angedeutet wird, dass häufige „unklare“ Störungen, etwa anhaltende Müdigkeit, wechselnder Schmerz, Schwindel, Lähmung, Herzklopfen, Schwäche, Krampf, Zittern und andere vorhanden sind, aber ohne charakteristischen Befund im Labor, im CT bzw. MRT. Dass körperliche Ursachen mit den üblichen Methoden zumindest bisher nicht nachweisbar sind. Vor allem nach Virusinfektionen, mit dem Eppstein Barrvirus (EBV) etwa oder neuerdings mit SARS-CoV-2 treten nicht ganz selten derartige Symptome auf, besonders Muskelschmerzen, Schwindel, Reizdarmsyndrom, unklare Erschöpfung, Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen, Schwäche, Schlafstörungen, Anfälligkeit, Leistungsabfall.

Wenige Jahre vor der Covid-Pandemie schon, in 2013, hatten Forscherinnen und Forscher an der Universität Utrecht festgestellt, dass einer somatoformen bzw. psychosomatischen Störung signifikant häufig eine virale Infektion – oder eine andere Entzündung – vorangegangen war (TE Lacourt et al: Infection load as a prediposing factor for somatoform disorders, Psychosomatic Medicine 75,2013). Aufgrund der Untersuchungen mit 185 Patienten, bei denen eine somatoforme Störung diagnostiziert worden war,‚ ist eine Ursache im Immunsystem, in einer anhaltenden Entzündungsreaktion zu vermuten. Die Autorinnen/Autoren nehmen an, dass Zytokine, das sind Botenstoffe aus dem Immunsystem, das Gehirn sensibilisieren.

Der Einfluss von Infektion, genauer gesagt der Entzündungsreaktion auf das Nervensystem und die Mentalität, die Psyche wird immer deutlicher erkennbar. Was einstmals psychosomatisch war, wird nun neuroimmunologisch bzw. neuroendokrinologisch erklärbar. Chronische Entzündung sollte daher bestmöglich herabreguliert, idealerweise ausgeheilt werden. Die Anwendung bewährter Naturstoffe mit entzündungshemmender Wirkung scheint deshalb noch sinnvoller zu sein als bisher schon angenommen: Alphalinolensäure (Leinöl), Curcumin (CurcumaRhizom), Epigallocatechingallat (Grüntee), Ellagitannine (Granatapfel) sowie das Spurenelement Selen in optimaler Dosierung. Nicht ganz zufällig sind diese Wirkstoffe Kernkomponenten des Basisprogramms für längere Gesundheit. Weil lange schon klar war, dass Entzündungshemmung mit biologischen Mitteln Grundvoraussetzung für Gesundwerden und Gesundbleiben ist.

Oft schon berichteten kontinuierliche Anwenderinnen/Anwender des Basisprogramms für längere Gesundheit, dass sie sich damit auch emotional besser fühlen. Dazu nahm ich an, das seelische Wohlbefinden resultiere aus dem guten Gefühl, mit bewährten Natur-stoffen täglich die Gesundheit zu stärken. Mit den Erkenntnissen aus der Psychoneuroimmunologie wird der erfreuliche Zusammenhang sanfter Entzündungshemmung mit geeigneten Naturstoffen und mentaler Stabilisierung weiter erklärbar.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 47 (Nov./Dez. 2022)

Ohne Befund doch nicht gesund

Die moderne Medizin konfrontiert uns mit einer Vielzahl an Befunden. Gleichzeitig bleibt der Grund mancher Beschwerden im Dunkeln. Dr. Klaus Mohr über eine Diagnostik, die immer noch zwischen Körper und Seele trennt./p>

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In Fachkreisen und bei seinen Lesern hoch geschätzter Mediziner und Autor, der es versteht Natur- und Schulmedizin zum Nutzen seiner Patienten einzusetzen.