Mikrobe des Jahres: Hefe, der kleinste Heilpilz der Welt

01.07.22 12:00 AM Von Dr. Mathias Oldhaver

Bei Heilpilzen denken viele zunächst an Pilze wie Shiitake oder Maitake. Der kleinste Heilpilz der Welt, die Hefe, wird dabei oft vergessen. Dabei ist Hefe eines, wenn nicht das älteste Heilmittel der Welt. Grund genug für die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM), die Hefe (Saccharomyces cerevisiae) zur Mikrobe des Jahres 2022 zu küren. 

Der Mikroorganismus Hefe existiert in dieser Form schon seit mehreren 100 Millionen Jahren. Und was sich seit Millionen von Jahren bewährt hat, besitzt offenbar eine große Widerstandskraft und ist optimal für das Leben auf der Erde geeignet. Spannend ist, dass die Hefe vermutlich der Vorläufer des Tierreiches und der Pflanzenwelt ist. Denn Gene, die beim Menschen vorkommen, sind auch in der Hefe zu finden. Wegen der Ähnlichkeit des Stoffwechsels des Menschen und der Hefe wird die Hefezelle in der medizinischen Wissenschaft oft als Modellorganismus genutzt mit dem Ziel, die Zellabläufe besser zu verstehen. Für Forschungen an der Hefe zum Nutzen des Menschen wurde bereits mehrmals der Nobelpreis verliehen. Übrigens war die Hefe der erste Organismus weltweit, dessen Gene vor 20 Jahren vollständig entschlüsselt wurden.

Dieses Multitalent der modernen Biotechnologie wird vom Menschen schon seit Jahrtausenden genutzt, weil es viele gesundheitsfördernde Eigenschaften besitzt. So werden Hefezubereitungen in der naturheilkundlichen Praxis in Form von Hefetabletten, Kapseln mit medizinischer Spezialhefe oder fermentierte Hefepräparate sehr erfolgreich zur Vitamin-B-Versorgung, als natürliches Antibiotikum, bei Magen-Darm-Beschwerden, zur Unterstützung des Mikrobioms, im Rahmen von Zellregulierungstherapien als adjuvante Therapie bei Krebserkrankungen, bei Cancer Fatigue und zur Immunmodulation von abwehrgeschwächten Patienten eingesetzt.

Hefe als uraltes Heilmittel

Hefe hat als Heilmittel bereits eine lange Geschichte und Tradition. Man findet sie schon im ältesten Dokument der Medizingeschichte Ägyptens, dem „Papyrus Ebers“. Auch der griechische Arzt Hippokrates setzte Hefe als Naturheilmittel, vor allem bei der Bekämpfung von Fieber und als Mittel gegen Diarrhö ein. In der Klostermedizin des Mittelalters haben Mönche die Hefe sogar als Schutz gegen die Pest eingesetzt und einer der berühmtesten Ärzte des Mittelalters, Paracelsus (1494–1541) hat Hefe als gar „göttliche Medizin“ gepriesen. In der Weiterentwicklung der Heilkunde besonders hervorgetan hat sich jedoch die berühmte Äbtissin und Ärztin Hildegard von Bingen (1099–1179). In ihrem Gesundheitsrategeber „Causa et Curare“ empfahl sie hefehaltige Getränke als Kur bei verschiedensten Erkrankungen. Auch heute wird Hefe in verschiedenen Darreichungsformen als Therapeutikum genutzt, u. a. zur Behebung von Vitaminmangelzuständen und zur Versorgung mit Mineralstoffen und Spurenelementen. Hefe liefert eine Fülle von Nährstoffen und wichtige Verdauungsenzyme wie 

Lactase, Saccharase und Maltase. Außerdem mildern Hefepilze die Nebenwirkungen von Antibiotika, beugen Durchfällen vor und wirken probiotisch, erhöhen also u. a. die Abwehrleistung der Darmschleimhaut und stärken dadurch das Immunsystem.

Saccharomyces cerevisiae Var. Boulardii bei Durchfall

Ein in der Behandlung von Darmproblemen schon seit langem eingesetzter probiotischer Hefestamm ist Saccharomyces boulardii, der auch unter der Bezeichnung Saccharomyces cerevisiae Hansen CBS 5926 bekannt ist. Saccharomyces boulardii ist im Darm lebens- und vermehrungsfähig, besiedelt den Darm aber nicht dauerhaft. Diese medizinische Spezialhefe gilt als Probiotikum, das am umfangreichsten untersucht wurde. Angewendet wird Saccharomyces boulardii sowohl präventiv als auch in der Behandlung vor allem im Bereich der Durchfallerkrankungen. Hierfür liegen zahlreiche Studien vor. Eine systematische Meta-Analyse von 31 randomisierten, Placebo-kontrollierten Behandlungsgruppen in 27 Studien mit 5.029 Patienten ist zu dem Schluss gekommen, dass Saccharomyces boulardii signifikant in 84 Prozent der Behandlungsgruppen wirksam war. Danach wird der Einsatz der medizinischen Spezialhefe unter anderem empfohlen zur Prävention antibiotika-assoziierter Diarrhöen und Reisedurchfall, der Reduktion von durch Helicobacter pylori ausgelösten Symptomen, die Prävention der Wiederkehr von Clostridium difficile-bedingter Krankheiten, zur Behandlung des Reizdarmsyndroms, von Morbus Crohn, des akuten Durchfalls bei Erwachsenen sowie verschiedener weiterer Durchfallarten. 

Spezialhefe gegen Reizdarm

Auch bei Reizdarm haben sich Hefezubereitungen bereits vielfach bewährt. Besonders hervorzuheben ist hier die probiotische Spezialhefe Saccharomyces cerevisiae CNCM I-3856. Die sanfte Wirkung der Mikroorganismen Saccharomyces cerevisiae CNCM I-3856 auf die typischen Symptome des Reizdarms wie Bauchschmerzen, Blähbauch oder Verstopfung wurde in zwei randomisierten, doppelblinden Placebo-Studien an insgesamt 579 Reizdarmpatienten getestet. Das Ergebnis: Es kam zu einem deutlichen Rückgang von Bauchschmerzen und anderer Beschwerden wie Blähungen. 

Besonders profitierten diejenigen Patienten, bei denen der Reizdarm mit einer Verstopfung einherging. Hier konnten die Symptome Bauchschmerzen und aufgeblähter Bauch im Vergleich zur Placebogruppe signifikant reduziert werden. Auch der Stuhl wurde weicher. Bei der Anwendung traten weder Nebenwirkungen noch ein Gewöhnungseffekt auf. In einer groß angelegten Anwendungsbeobachtung mit Saccharomyces cerevisiae CNCM I-3856 mit über 1000 Patienten berichteten 96 Prozent von einer Verbesserung auf das Darm-Wohlbefinden. Auch die schnelle Wirksamkeit wurde hier deutlich: 77 Prozent der Patienten spürten die positive Wirkung bereits innerhalb von 15 Tagen.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 45 (Juli/Aug. 2022)

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Dr. Mathias Oldhaver

Dr. Mathias Oldhaver

Dr. Mathias Oldhaver ist Heilpraktiker und Medizinjournalist. Er beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit präventiver Medizin und Naturheilkunde.