Leaky Gut - Wie man sich vor einem durchlässigen Darm schützen kann

01.09.23 12:00 AM Von Dr. Mathias Oldhaver

Der Darm ist die größte Grenzfläche zwischen Körper und Außenwelt. Rund eine Tonne Nährstoffe werden pro Jahr über den Darm eines Erwachsenen aufgenommen. Gleichzeitig ist die Darmschleimhaut eine wichtige Barriere gegenüber schädlichen Fremdstoffen wie Allergenen, Krankheitserregern und Schadstoffen wie Schwermetallen usw. Wenn diese Barrierefunktion der Darmschleimhaut gestört ist und Schadstoffe unkontrolliert durch die Darmwand ins Körperinnere strömen können, spricht man vom „Leaky Gut“, dem durchlässigen Darm. 

Ein Merkmal ist, dass bei einem Leaky Gut die sogenannten Tight junctions geschädigt sind. Biologisch gesehen handelt es bei den Tight junctions um schmale Bänder aus Membranproteinen, welche die Epithelzellen der Darminnenwand ähnlich einem Klettband verschließen können. Man könnte die Tight junctions auch als „Türsteher“ des Darms bezeichnen, die regeln, was aus dem Darm in den Körper darf und was nicht. 

Dieses Barrieresystem aus Epithelzellen und Tight Junctions kann durch Störfaktoren wie Medikamente, Alkohol, Nikotin, Allergene, bakterielle Giftstoffe (insbes. Clostridium perfringens), Entzündungsbotenstoffe, aber auch Stress erheblich beeinträchtigt und in der Folge durchlässig werden. Begünstig wird die Entwicklung des Leaky Gut zudem durch eine Dysbiose, also einem Ungleichgewicht in der Zusammensetzung der Darmflora: Je instabiler die Darmschleimhaut, desto größer das Risiko hinsichtlich einer Schädigung der Schleimhautbarriere. Chronische Erkrankungen können sowohl Ursache als auch Folge eines Leaky Gut Syndroms sein – hier ist die Forschung noch relativ am Anfang. Die durch den Leaky Gut verstärkte Aktivierung des Immunsystems und die Entstehung systemischer Entzündungen können chronische Infektionen (vor allem des Darms: Colitis Ulcerosa, Morbus Crohn, Reizdarm, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und metabolisches Syndrom mit Insulinresistenz und Adipositas, Allergien und Asthma bronchiale) sowie Autoimmunerkrankungen (u.a. Diabetes mellitus Typ 1, Zöliakie, Rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose) begünstigen oder gar auslösen. Neuere Studien gehen davon aus, dass der Leaky Gut auch bei der Entwicklung von Tumoren, einer nicht-alkoholischen Fettleber und Nierenerkrankungen eine Rolle spielt. Auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten haben ihren Ursprung in einer gestörten Darmbarriere. Zudem kann intensives sportliches Training offenbar die Entwicklung eines Leaky Gut Syndroms begünstigen.

Wie diagnostiziert man einen Leaky Gut?

Bei unklaren Beschwerden im Unterleib sowie chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen können Störungen in der Barrierefunktion des Darms eine Rolle spielen. Anhand von Symptomen ist es schwierig, einen Leaky Gut zu diagnostizieren, weil er gar keine Erkrankung im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr Ursache oder Folge anderer Erkrankungen ist. Daher sollte die Diagnose von einem Arzt oder Heilpraktiker mithilfe von biochemischen Markern gestellt werden, da diese Veränderungen an der Darmschleimhaut aufzeigen können. Zu den Laborparametern gehören erhöhte fäkale Fett- und Stickstoffwerte, die auf eine gestörte Verdauung oder Mikronährstoffaufnahme hindeuten und ein erhöhter Wert bei bestimmten Antikörpern, der eine akute Darmentzündung anzeigen kann. Auch ein Verlust an Defensin 2 könnte mit einem Leaky Gut zusammenhängen. Dieser in der Darmschleimhaut gebildete antibiotisch wirkende Stoff wirkt gegen gramnegative Bakterien und Candida. Bei bestimmten Erkrankungen (Neurodermitis, Asthma, CED) wird zu wenig Defensin produziert. 

Neben weiterer Entzündungsmarkern im Stuhl gilt auch Zonulin als relativ sicherer Indikator für eine unphysiologische Durchlässigkeit der Darmschleimhaut. Normalerweise reguliert Zonulin die Öffnung der Tight junctions und damit den selektiven Stofftransport aus dem Darm ins Körperinnere. Kommt es aufgrund einer Schädigung der Darmschleimhaut zu einem direkten Kontakt zwischen Tight junctions und pathogenen Bakterien, wird vermehrt Zonulin produziert. Die Folge: Die Tight junctions bleiben zu lange geöffnet und erlauben einen unkontrollierten Strom von Substanzen – darunter auch Schadstoffen – in das Körperinnere. Mit Zonulin kann also eine Schädigung der Tight junctions erkannt werden.

Prävention und Behandlung eines Leaky Guts

Um es gar nicht erst zu einem durchlässigen Darm kommen zu lassen, kann jeder, der besonders gefährdet ist, selbst etwas zur Prävention tun. Wer unter einer Nahrungsmittelunverträglichkeit leidet, sollten diese Nahrungsbestandteile bzw. Allergene natürlich vermeiden. Auch auf Schadstoffe wie Alkohol oder Nikotin sollte nach Möglichkeit verzichtet werden. Sehr zu empfehlen ist auch eine ballaststoffreiche Ernährung, gegebenenfalls mit Multiballaststoffpräparaten. Aus wasserlöslichen, prebiotischen Ballaststoffen werden von den Darmbakterien kurzkettige Fettsäuren fermentiert. Diese wiederum werden von der für die Darmbarriere so wichtigen Darmschleimhaut zur Energiegewinnung benötigt. Und die Darmschleimhaut braucht sehr viel Energie, weil sie das sich am schnellsten regenerierende Gewebe im Körper ist. 

Um die Darmschleimhaut zu stabilisieren und einem Ungleichgewicht in der Darmflora entgegenzuwirken, werden neben Ballastoffen auch Probiotika empfohlen. Studien haben nämlich gezeigt, dass die Einnahme von Präparaten mit Milchsäurebakterien für die Darmflora dem Leaky Gut entgegenwirken kann, u.a. an Sportlern in Bezug auf trainingsinduzierten Leaky Gut, bei Menschen, die unter Reizdarm leiden und bei Patienten mit Leberzirrhose. Für den Erfolg einer solchen mikrobiologischen Therapie sollte man unbedingt ein hochdosiertes Probiotikum wählen (48 – 160 Milliarden Milchsäurebakterien pro Tagesdosis), die eine natürliche Resistenz gegen Magen- und Gallensäure sowie Antibiotika haben. Gegenüber einem Monopräparat ist ein Kombinationspräparat mit unterschiedlichen Stämmen vorzuziehen (Multi-Species-Konzept). Wichtig bei der Auswahl des geeigneten Probiotikums ist auch, dass es sich um genetisch charakterisierte und sichere Stämme handelt. 

Bei einem Leaky Gut, der möglicherweise mit dem Reizdarmsyndrom einhergeht, ist zusätzlich die Einnahme der medizinischen Spezialhefe Saccharomyces cerevisiae CNCM I-3856 zu empfehlen, deren Wirksamkeit in zwei klinischen Studien belegt werden konnte.1,2 Auch Colostrum hat sich beim Reizdarmsyndrom als hilfreich erwiesen. Hier sollte ein ColostrumPräparat gewählt werden, das einen hohen und ausgewogenen IgG- und Lactoferrin-Anteil aufweist.

1 Pineton de Chambrun,G. et al.: (2015) A randomized clinical trial of Saccharomyces cerevisiae versus placebo in the irritable bowel syndrome. Dig. Liver Dis., 47, 119-124. 

2 Spiller,R.C., et al (2015) Randomized double blind placebo-controlled trial of Saccaromyces cerevisiae CNCM I-3856 in irritable bowel syndrome: improvement in abdominal pain and bloating in those with predominant constipation. United European Gastroenterology Journal

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 52 (Sept./Okt. 2023)

Die Wirksamkeit von Placebo

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Dr. Mathias Oldhaver

Dr. Mathias Oldhaver ist Heilpraktiker und Medizinjournalist. Er beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit präventiver Medizin und Naturheilkunde.