CT, MRT, PET, Disease Management, Compliance, die Sprache der modernen Medizin besteht zunehmend aus Akronymen und Anglizismen. Stets prägt die Entwicklung die Sprache – und die Sprache das Denken, die Einstellung. Auch von Patienten werden CTs und MRTs zunehmend verlangt, mit oder ohne Indikation.
Klar, die Übersicht zu behalten, wird schwieriger, das Verständnis, die Möglichkeiten scheinen sehr groß. Leitlinien werden vereinbart und Behandlungsprogramme. Die Digitalisierung wird forciert. Alles ähnlich wie in jedem anderen Industriekonzern auch. So ein Vergleich geht aber zu weit, möchte man da widersprechen: Die Medizin ist doch weder Industrie noch Konzern, sollte so doch zumindest nicht sein. Obgleich sie genauso – oder noch viel dringender – gebraucht wird, wie etwa die Automobilindustrie oder andere Konzerne. Immer mehr gebraucht wird zur Behandlung der Flut von Zivilisationskrankheiten. Ja das ist so. Vielleicht musste gerade deshalb die Medizin sich so anpassen, mit Effektivitätssteigerung, Rationalisierung, Spezialisierung und Digitalisierung. All das wird in unserer Gesellschaft verlangt. In allem geht es um mehr, mehr von allem, mehr von allen.
In diesem Umfeld erfüllt die hochtechnisierte, hochspezialisierte, hocheffektive Medizin unserer Zeit ihren Auftrag: Disease Management, man könnte auch sagen Krankheitsverwaltung umfassend und tüchtig.
Gesundheitswesen und Kohlendioxid-Emissionen
Im Vergleich mit der guten alten Naturheilkunde ist die moderne Medizin eingreifender geworden und effektiver. Vielen Menschen in unserer Gesellschaft kam und kommt das zu Gute. Gewiss gibt es hier und da auch Probleme in der Versorgung und manch einer fühlt sich in dem System nicht wohl. Doch wendet die Gesellschaft beachtliche Beträge auf für ihr Gesundheitswesen, das – klar gesagt – vor allem rationalisierte Krankheitsbehandlung, Verwaltung und Versorgung ist. Weitgehend kostenfrei für die Behandelten, obgleich etliche davon sich unzureichend behandelt fühlen. Nicht ganz billig für die Gesellschaft, die Zahlen werden gleich noch genannt. Problematischer noch sind die Konsequenzen für die Erdatmosphäre: Den Ermittlungen der internationalen Organisation Health Care without Harm zufolge werden von dem Gesundheitswesen (so die offizielle Bezeichnung) weltweit insgesamt fünf Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen erzeugt. Wäre das Gesundheitswesen ein Staat, würde es nach China, den USA, Indien und Russland derzeit der fünftgrößte Kohlendioxid-Emittent sein. In unserer hoch entwickelten Gesellschaft dürfte, die Pflege inbegriffen, der Anteil an den Emissionen noch höher sein. Aber das sei, obgleich die Klimaveränderung ein hochbrisantes Problem ist, hier nur am Rande vermerkt. Ist doch die Gesundheit, mehr noch die Behandlung der Krankheiten, ein hohes Gut. Der weltweite Flugverkehr verursacht übrigens ungefähr gleich viele KohlendioxidEmissionen. Und im Grunde hängt das alles miteinander zusammen.
Im Vergleich damit sind die Ausgaben für das Gesundheitswesen, wie es bezeichnet wird, nicht so schwerwiegend, obzwar keineswegs niedrig: 440,6 Milliarden € in 2020, nach 413,8 Milliarden € in 2019 und 393,1 Milliarden € in 2018 – alleine in Deutschland, versteht sich. Die Wachstumsraten sind ebenfalls beachtlich. Wo wird das hinführen? Ein Großteil ist für die Behandlung der Zivilisationserkrankungen notwendig und deren Folgen.
Von Arteriosklerose, Autoimmunerkrankungen, Diabetes mellitus, Herzerkrankungen, Demenzerkrankungen, Krebserkrankungen, metabolischem Syndrom, Nervenerkrankungen, psychischen Leiden und anderen. Klar, da ist viel Not, Leiden- und viel Behandlung erforderlich. Die Ursachen sind vielfältig. Es ist nicht das Körperliche und nicht die Veranlagung alleine. Das sind auch Folgen von Über- und Fehlernährung, von Überforderung, von Umweltbelastung, von Stress, von Bewegungsmangel, von gesundheitswidrigem Verhalten, von hohem Alkoholkonsum, zunehmend auch von Drogen. Wohlstand, Wachstum in allen Bereichen, auch Narzissmus spielen eine Rolle. Und gewiss sind darin auch Folgen übermäßiger oder ungünstiger Anwendung moderner Medizin enthalten, auch gibt es neben hohem Nutzen Missbrauch und Dunkelziffern.
Selbstverständlich bedürfen alle Krankheiten, auch die Zivilisationskrankheiten und die Wohlstandskrankheiten sowie die narzisstischen Krankheiten, der bestmöglichen Therapie, ungeachtet der Kosten. Ganz und gar erfolgreich erscheint die moderne Medizin in deren Behandlung leider nicht zu sein, es ist eher eine Pattsituation. Zweifellos sind ihre Behandlungen, ihre Eingriffe, Medikamente und Maßnahmen, ihre Operationen und Prozeduren krankheitswidrig, sorgsam und lebensrettend. Wobei lebensrettend bei Licht betrachtet heißt, lebensverlängernd. Selbstverständlich ist auch das sehr viel wert und erfreulich, jedoch mit einem Zuwachs von Krankheit verbunden.
Allerdings geht es unserer gesamten Gesellschaft nicht gut. Obzwar sie wohlhabend und konsumkräftig ist wie niemals zuvor. Stets ist da von Krankheit die Rede, von Benachteiligung, von Mangel an Einkommen und Zuteilung, von Geld. Gesundheit scheint unwahrscheinlich, Heilung nahezu unmöglich – und Krankheit alltäglich, sozusagen der Normalzustand.
Tatsächlich können immer mehr Krankheiten diagnostiziert – und dann auch behandelt werden,
- wofür stets neue Mittel und Methoden geschaffen werden
- wobei allerdings immer mehr Komplikationen und Probleme entstehen und
- die Abhängigkeit von der Diagnose- und Therapiebranche wächst.
- Krankheit ist der neue Normalzustand
- Wer etwa glaubte, noch gesund zu sein, ist bloß unzureichend untersucht worden
- Behandlung ist dringend erforderlich, aber Heilung nahezu ausgeschlossen.
Schwer zu sagen, warum das so ist. Aber vielleicht fühlen Sie es.
Nocebo-Effekt
Zweifellos hat die Medizin große Fortschritte gemacht. Selber bin ich in meiner Arbeit für die Errungenschaften und Möglichkeiten der modernen Medizin für meine Patientinnen und Patienten sehr dankbar – sehe aber auch die Schattenseiten. Zwangsläufig wird der Patient/die Patientin in der eingreifenden Medizin zum Objekt der Behandlung, das wäre gar nicht anders möglich. Muss – und kann in der Regel – den behandelnden Ärztinnen/ Ärzten vertrauen. Wohl ist die Einwilligung in die Behandlung nach erfolgter Aufklärung erforderlich, vor allem aus rechtlichen Gründen, aber mehr verunsichernd, ebenso wie manche Nebenwirkungserklärung auf dem Beipackzettel, die Hersteller und Verordner bei sachgemäßer Anwendung von der Haftung für dargelegte Risiken befreit. Nicht selten entsteht dann ein Nocebo-Effekt mit der Erwartung von Schäden aus der Behandlung. Der Nocebo-Effekt ist der Gegenpol des Placebo-Effektes, mit dem vermeintlich positive Wirkungen einer Scheinbehandlung benannt werden: Wenn beispielsweise eine wirkstofffreie Tablette aus einer Packung, auf der steht „gegen Kopfschmerzen“ nach der Einnahme subjektiv den Schmerz lindert. Ein Ziel der evidenzbasierten Medizin besteht darin, mittels randomisierter Studien den Placeboeffekt auszuschließen und so die Wirkung zu objektivieren.
Inzwischen ist der Noceboeffekt, obgleich offiziell wenig erfasst, offensichtlich häufiger geworden als der Placeboeffekt, d. h. gerade von der modernen Medizin, aber auch in anderen Bereichen, werden eher negative als positive Effekte erwartet. Das resultiert aber nicht nur aus den Risiken, die von der Medizin zwangsläufig ausgehen (und möglichst gering gehalten werden), sondern auch aus der Einstellung der Menschen in unserer Gesellschaft zu sich selber. Da ist nämlich einiges an Selbstverantwortung und Selbstvertrauen verloren gegangen. Wozu auch die moderne Medizin ein wenig beigetragen hat, wie bereits erklärt wurde. Wer aber sich selbst nicht mehr vertrauen kann, vertraut auch nicht mehr anderen bzw. angeratenen Maßnahmen. Manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht.
Körpereigene Heilkräften
Letztlich ist aber, gerade in schwierigen Zeiten mit komplexen Situationen und widersprüchlichen Informationen, ein ausreichendes Maß an Selbstvertrauen, Selbstverantwortung und Selbstbeteiligung lebens- und gesundheitswichtig. Dazu verhilft richtig verstandene Naturheilkunde. Wer Naturheilkunde nur oberflächlich kennt, mag diese Hypothese für anmaßend halten. Tatsächlich glauben viele Leute noch immer, Naturheilkunde sei eine Art Alternative zur sogenannten Schulmedizin (eine Bezeichnung, die meines Erachtens nicht mehr verwendet werden sollte), eine Art Allopathie mit pflanzlichen Mitteln.
You can edit text on your website by double clicking on a text box on your website. Alternatively, when you select a text box a settings menu will appear. your website by double clicking on a text box on your website. Alternatively, when you select a text box
Viele Störungen und auch Krankheiten heilen von selber, bevor sie zum Ausbruch kommen oder gar chronisch werden. Das läuft meistens unbewusst und unerkannt ab. Erst beim Versagen von Selbstheilungskräften werden Krankheiten manifest. Solange die Krankheiten den eigenen Heilungskräften noch zugänglich sind, ist die naturheilkundliche Behandlung sinnvoller als eingreifende und unterdrückende Maßnahmen. Wenn jedoch der kritische Punkt überschritten ist, zum Beispiel wenn schon pathologische Organveränderungen entstanden sind, ist die eingreifende Medizin zweifellos wirksamer, mitunter auch rettender.
- physikalischen Reizen: Wärme- und Kälteeinwirkung, Kaltwasseranwendungen, Güssen und Wickeln. Diese Reize sind dem Organismus evolutionär vertraut. Entscheidend für die Wirksamkeit ist die Intensität und die Dosierung, Temperatur, Dauer, Frequenz. Für die Kneipp-Methode ist einiges Wissen und therapeutische Erfahrung erforderlich.
- Regulation der Atmung: der Atemfrequenz und der Atemtiefe (detaillierte Erklärungen dazu zum Beispiel in reformleben Nr. 27). Erreicht wird so Entspannung, Auflösung von Stress (Stress ist ein Hauptfaktor der Zivilisationskrankheiten), Resonanz in den Körperzellen.
- gesundheitsfördernder bzw. krankheitswidriger Ernährung. Dazu gibt es sehr viele, oft widersprüchliche Empfehlungen. Wohl die beste Empfehlung für die Mehrheit unserer Gesellschaft (die sie aber nicht zu gern umsetzen wird) ist: Weniger Menge, weniger Masse – mehr Qualität. Vegetabil, gute Versorgung mit hochwertigen Omega-3-Ölen, weitgehende Reduktion kohlenhydratreicher Produkte, konsequentes Meiden raffinierter Zucker und daraus hergestellter Erzeugnisse.
- pharmazeutisch aufbereiteten Naturstoffen, Pflanzenextrakten, Mineralien. Deren besondere Wirksamkeit gründet auf unseren evolutionären Wurzeln in der Erde und der Ähnlichkeit einiger Stoffwechselpfade in den Pflanzenzellen mit unseren. Das ist Realität, keine Fantasterei. Was unserem Organismus evolutionär näher steht als synthetisierte Medikamente und Apparate wirkt logischerweise auch im emotionalen Bereich. Weitergehend werden aber auch die pharmakologischen Wirkungen bewährter Pflanzenarten sorgfältig erforscht – und oftmals bestätigt. Mitunter dienen Naturstoffe als Vorbilder für die Synthese neuer, patentierbarer Medikamente der modernen Medizin.
Einige bewährte Pflanzenstoffe sind hilfreich und unverzichtbar für die Prävention häufiger Zivilisationskrankheiten. An deren Entstehen, etwa von Arteriosklerose, Autoimmunkrankheiten, Entzündungskrankheiten, Herzkrankheiten, entzündlichen/degenerativen Nervenzellerkrankungen, Stoffwechselstörungen, Krebskrankheiten ist langjährige Belastung, Einseitigkeit, Fehlernährung, Achtlosigkeit, Überforderung, Stress, kurz gesagt, das Panoptikum der Zivilisation massiv beteiligt. Mit besonderen Pflanzenarten und Pflanzenstoffen in guter Qualität, aus biologischem Anbau stehen uns besondere, meines Erachtens unverzichtbare Schutzprinzipien zur Verfügung.
Es gibt Therapieebenen, auf denen die eingreifende Medizin wirksamer, damit sicherer ist. Und es gibt Bereiche in denen naturheilkundliche Therapie sinnvoller und besser ist. Wichtig ist es, die jeweiligen Grenzen zu kennen und zu beachten. Naturheilkunde ist nicht Alternative, nicht Ersatz der eingreifenden Medizin.
Naturheilkunde war die Medizin alter Kulturen, unserer Vorfahren. Im 19. und 20. Jahrhundert, mit der aufkommenden Industrialisierung wurde sie überholt von der eingreifenden, chemisierten, technisierten, dazu hochspezialisierten neuen Medizin. Deren Lichtseiten sehr früh und deren Schattenseiten nunmehr deutlich werden. Wobei die moderne Medizin meint, sie könne sehr gut ohne die Naturheilkunde. Vor allem Disease Management. Hoch entwickelt, hoch effektiv. Nicht billig.
Der Wohlstand und der Ressourcenverbrauch wird nicht so bleiben können, wie in den letzten 60 Jahren, betrieben mit der Verbrennung fossiler Energieträger und der Rodung von Wäldern. Hoch verschuldet nun und zukunftszerstörend.
Für unsere Gesellschaft ist die eingreifende Medizin unverzichtbar geworden, jedoch kein Allheilmittel. Fünf Prozent KohlendioxidEmission erzeugt für den und von dem Medizinbetrieb, dem sogenannten Gesundheitswesen sind gleichzeitig eine Belastung der Zukunft. Klar, ganz ohne Fuß- und Fahrabdruck geht’s nicht. Doch sollten wir uns fragen, geht’s auch ein wenig kleiner? Anspruchsloser? Selbstverantwortlicher? Gesünder? Seriöse, kompetent behandelnde Naturheilkunde kann die Selbstverantwortung, die Selbstbeteiligung und die Selbstheilung ermöglichen, Gesundheit und Zukunft.
Erschienen in:

Ausgabe Nr. 45 (Juli/Aug. 2022)
Zucker – weißes Gift oder doch ganz harmlos?
Klar, wir alle essen zu viel Zucker und einfache Kohlenhydrate. Aber warum eigentlich? Und was ist so schlimm daran? Die Biologin Julia Tulipan erklärt die Zusammenhänge.