Basisprogramm Darmgesundheit - Teil 2: Kurzkettige Fettsäuren

01.09.23 12:00 AM Von Redaktion

Ein gesunder Darm gilt zurecht als Schlüssel zu allgemeiner Gesundheit und Wohlbefinden. Die Gesundheit unseres Verdauungstraktes hat weitreichende Auswirkungen auf unser körperliches und psychisches Wohlbefinden (s. reformleben #51 - Teil 1). Es ist also wichtig eine eigene Vorstellung davon zu haben, wie der Darm funktioniert, wie wir den Boden für eine optimale Darmgesundheit bereiten können und was ihr schadet.

Den wohl verheerendsten Einfluss auf unsere Darmflora können Antibiotika haben. Sie sind Fluch und Segen zugleich. Durch sie sind wir,seit der Entdeckung des Penicillins im Jahre 1928 durch den britischen Mediziner und Bakteriologen Alexander Fleming, in der Lage, Bakterien im Körper mit großer Sicherheit abzutöten – auch im Darm.

Unter anderem diese Entdeckung hat zu dem massiven Anstieg der Lebenserwartung und der Gesundheitsspanne geführt, von der wir in den letzten 100 Jahren profitieren konnten. Viele Menschen starben früher schon im Kindesalter, plötzlich und unerwartet an bakteriellen Infektionen.

Mikroben besetzen unseren Darm

Wunderbar – könnte man meinen, ein sauberer, vielleicht sogar steriler Darm könnte von Vorteil sein. Wie etwa ein sauberer Tisch, eine saubere Toilette. Doch die Natur funktioniert anders.

Das lässt sich am Beispiel von Mäusen mit einem sterilisierten Darm zeigen. In der sterilen Umgebung des Labors leben diese Mäuse zunächst unbeeinträchtigt. Werden sie aber in die von Mikroben bevölkerte Natur entlassen, überleben sie meist nicht lange. Ihr Immunsystem wird von Keimen, Bakterien, Viren und Pilzen überwältigt, mit denen es nicht umgehen kann.

Wie hat die Natur vorgesorgt, dass es bei uns und anderen Säugetieren normalerweise nicht soweit kommt? Durch den Kontakt mit dem Mikrobiom der Mutter bei der Geburt besiedeln Mikroben, die auf die Zusammenarbeit mit dem Menschen spezialisiert sind, in kürzester Zeit den Körper bis in die letzte Nische, nachdem wir bei der Geburt mit ihnen über unsere Mutter in Kontakt gekommen sind. Wenn alles klappt, kommen für uns nutzlose oder gar krankmachende Mikroben zu spät und finden keinen Platz sich zu vermehren.

Mit unserem Lebensstil können wir beeinflussen, dass das auch so bleibt.

Postbiotika - kurzkettige Fettsäuren (SCFAs)

In einem gesunden Verdauungstrakt nimmt die Mikroben-Population von der Mundhöhle zum Darmausgang zu. Der Dünndarm ist nur dünn besiedelt. Erst im Zäkum, dem ersten Abschnitt des Dickdarms, explodiert die Anzahl der Mikroben, da sie hier optimale Bedingungen vorfinden. Ballaststoffe, meist aus langkettigen Kohlenhydraten, werden ab hier von Mikroben zu kurzkettigen Fettsäuren (SCFAs - short chain fatty acids) abgebaut – fermentiert. Damit sind sie Stoffwechselprodukte (Metaboliten) der fermentierenden Bakterien, die deshalb auch als Post-Biotika bezeichnet werden.

Was sind kurzkettige Fettsäuren?

SCFAs bestehen aus sechs oder weniger Kohlenstoffatomen und gehören zur Gruppe der gesättigten Fettsäuren. Essigsäure (Acetat), Propionsäure (Propionat) und Buttersäure (Butyrat) bilden den Großteil der von den Bakterien im Dickdarm produzierten SCFAs.1-5

Diese kurzkettige Fettsäuren wirken über zwei Wege:6

1. Sie wirken als Signalbotenstoffe und 

2. hemmen Enzyme, die an der Regulierung der Genexpression beteiligt sind

Die Steuerung der Genexpression durch SCFAs führt zu zwei wesentlichen Veränderungen: einer verringerten Produktion von Entzündungsbotenstoffen (Zytokinen) und einer Modulation des Immunsystems (z.B. dem Verhindern einer überschießenden Immunantwort).1

Buttersäure (Butyrat) ist die am besten untersuchte kurzkettige Fettsäure und gilt als vielversprechendes therapeutisches Mittel für verschiedene Krankheiten wie Diabetes, Fettleibigkeit und Krebs. 1-4

Sie spielt eine Schlüsselrolle in den zellulären Energiestoffwechselwegen sowie im Energiestoffwechsel des gesamten Körpers.1-3 Sie ist auch die primäre Energiequelle für die Kolonozyten, die Epithelzellen des Dickdarms – die Zellschicht, die den Darm auskleidet.1-5Nach aktuellem Stand geht man davon aus, dass bis zu 95 Prozent des vom Darmmikrobiom produzierten Butyrats von den Darmzellen zur Energiegewinnung genutzt werden, während die restlichen fünf Prozent nach der Absorption in die Leber gelangen, wo sie verarbeitet und an andere Organe weitergeleitet werden.4

Wie unterstützen kurzkettige Fettsäuren die Darmgesundheit im Besonderen?

Wenn die Ernährung nicht genügend Ballaststoffe enthält, ist die Darmflora nicht in der Lage, SCFAs in ausreichender Menge zu produzieren, um positive Wirkungen zu entfalten.6 Das kann zu entzündlichen Zuständen im Darm und im gesamten Körper führen.5,6

Butyrat ist in erster Linie für die Ernährung der Zellen verantwortlich, aus denen die Darmschleimhaut besteht, aber kurzkettige Fettsäuren unterstützen die Darmgesundheit auch durch andere Mechanismen. Sie stärken die Barrierefunktion des Darms und erhalten die selektive Durchlässigkeit (Permeabilität) aufrecht, modulieren die Zusammensetzung des Darmmikrobioms, verbessern die Darmfunktion, schützen vor potenziellen Infektionen und verringern Darmentzündungen.1,6,7,13Sie senken auch den pH-Wert des Darms, wodurch ein ungünstiges Milieu für Krankheitserreger geschaffen und gleichzeitig das Wachstum nützlicher Bakterien gefördert wird.7

In einer präklinischen Studie führte eine Diät ohne lösliche Ballaststoffe zu Darmentzündungen und einer schlechten Darmgesundheit, was wiederum zu einer Gewichtszunahme führte; als die Ballaststoffe jedoch wieder eingeführt wurden, verbesserte sich die Darmgesundheit rasch.14

Wie werden kurzkettige Fettsäuren aufgenommen? Im Darm produzierte kurzkettige Fettsäuren können über Proteine in den Darmepithelzellen absorbiert werden.5 Die Aufnahme von kurzkettigen Fettsäuren erfolgt über Diffusion, Ionenaustausch und aktiven Transport.7 Sie können in den Pfortaderkreislauf gelangen und zu Organen transportiert werden, die sie verwerten können, darunter Gehirn, Skelettmuskulatur und Immunzellen.3,5 Dadurch können diese darmspezifischen 

Stoffwechselprodukte vielen anderen Bereichen des Körpers zugute kommen. Essigsäure (Acetat) ist beispielsweise in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, wo es den Appetit reguliert.3 SCFAs werden mit dem Schutz vor oder der therapeutischen Option für verschiedene Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, entzündliche Darmerkrankungen und bestimmte Krebsarten.1-5,12

Welche Lebensmittel?

Angesichts der gesundheitlichen Bedeutung der SCFAs stellt sich die Frage, was wir tun können, damit unser Körper mit ausreichend kurzkettigen Fettsäuren versorgt werden kann.

Füttern sie ihren Darm! Nehmen sie regelmäßig Lebensmittel zu sich, die Stoffe enthalten, aus denen ihre Darmbakterien kurzkettige Fettsäuren herstellen können.

Die unverdauten Ballaststoffe im Dickdarm sind das Substrat, aus dem die Bakterien die kurzkettigen Fettsäuren herstellen. Im Gegensatz zu unlöslichen Ballaststoffen, die resistent gegen Fermentation sind, können lösliche Ballaststoffe zu kurzkettigen Fettsäuren fermentiert werden (Prä-Biotika).

Konzentrieren sie ihre Auswahl daher auf Lebensmittel, die lösliche Ballaststoffe enthalten. Zu diesen gehören Pektine (z.B. in Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten), Beta-Glucane (z.B. in Haferkleie), Frukto-Oligosaccharide (Zwiebeln, Knoblauch, Spargel, Konjak-Wurzel) und Inulin (Chicorée, Radicchio, Artischocke, Topinambur, Akazienfaser).4

Viele Obst-, Gemüse- und Getreideprodukte mit hohem Ballaststoffanteil enthalten heute ein Maß an Kohlenhydraten, das sogar bei eigentlich ausreichender Bewegung, die Kalorienbilanz aus dem Gleichgewicht bringt. Obwohl sie naturbelassene, kohlenhydratarme Lebensmittel vorziehen sollten (s. reformleben #48, Nährstoffe in der Matrix), kann es sinnvoll oder praktisch sein, z. B. die Morgenspeise mit einem Pulver aus löslichen Ballaststoffen anzureichern, wenn Sorge besteht, es könnten über den Tag nicht ausreichend aufgenommen werden.

Fermentierte Lebensmittel

Kurzkettige Fettsäuren können auch von außen zugeführt werden. Am einfachsten wohl die Essigsäure über fermentierte Lebensmittel (z. B. Sauerkraut, Kimchi, Kefir), aber auch Essig selbst (z.B. Apfel-Essig, Balsamico-Essig, Weißu. Rotwein-Essig). Butyrat kommen in geringen Mengen z. B. in Milch, Butter und Käse sowie in menschlicher Muttermilch vor, denn es kann durch Aminosäure-fermentierende Bakterien produziert werden.4,7

Es gibt eine Handvoll anderer Nahrungsbestandteile, die die SCFA-Produktion anregen können, indem sie das Wachstum von Bifidobakterien steigern, die SCFAs produzieren.111

Die Extrakte kulinarischer Gewürze wie Oregano, Ingwer, Rosmarin, Zimt, schwarzer Pfeffer und Cayennepfeffer sowie Kurkuma erhöhten den SCFA-Spiegel, ebenso wie das B-Vitamin Riboflavin.8-10 

Mehrere Kräuter können ebenfalls die SCFAKonzentration oder die Bakterien, die sie produzieren, erhöhen, darunter der Wegerich (Plantago) und die Ringflügelnuss.11

Prä-, Pro- und Syn-Biotika

Darüber hinaus können Prä-Biotika und ProBiotika die SCFA-Produktion fördern, indem sie lösliche Ballaststoffe für die Verdauung (Prä-Biotika) bereitstellen und die Konzentration von Bakterien erhöhen, die in der Lage sind, Ballaststoffe zu fermentieren (Pro-Biotika).5 Pro-Biotika sind Zubereitungen als Nahrungsergänzung oder Arzneimittel, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten, zum Beispiel Milchsäurebakterien und Hefen. Als Syn-Biotika werden Kombinationen aus Prä- und Pro-Biotika verstanden. Hier wird mit den nützlichen Bakterienstämmen gleich deren Nahrung mitgeliefert.

Fazit

Füttern sie ihren Darm mit vorwiegend löslichen Ballaststoffen, um eine ausreichende Versorgung mit kurzkettigen Fettsäuren sicherzustellen, die nicht nur für ihre Darmgesundheit eine vitale Rolle spielen. Mit Prä-, Pro- und Post-Biotika als Nahrungsergänzung können Defizite gegebenenfalls ausgeglichen werden

Quellen:

1 Tan, J., McKenzie, C., Potamitis, M., Thorburn, A.N., Mackay, C.R., Macia, L. (2014). The Role of Short-Chain Fatty Acids in Health and Disease. Adv Immunol, 121:91. 

2 Mazhar, M., Zhu, Y., Qin, L. (2023). The Interplay of Dietary Fibers and Intestinal Microbiota Affects Type- 2 Diabetes by Generating Short-Chain Fatty Acids. Foods, 12:1023. 

3 Anachad, O., Taouil, A., Taha, W., Bennis, F., Chegdani, F. (2023). The Implication of Short-Chain Fatty Acids in Obesity and Diabetes. Microbiol Insights, 16:11786361231162720. 

4 Peng, K., Dong, W., Luo, T., Tang, H., Zhu, W., Huang, Y., Yang, X. (2023). Butyrate and obesity: Current research status and future prospect. Front Endocrinol, 14:1098881. 

5 Gomes, S., Rodrigues, A.C., Pazienza, V., Preto, A. (2023). Modulation of the Tumor Microenvironment by Microbiota-Derived Short-Chain Fatty Acids: Impact in Colorectal Cancer Therapy. Int J Mol Sci, 24:5069. 

6 Kirundi, J., Moghadamrad, S., Urbaniak, C. (2023). Microbiome-liver crosstalk: A multihit therapeutic target for liver disease. World J Gastroenterol, 29(11):1651. 

7 Dahl, S.M., Rolfe, V., Walton, G.E., Gibson, G.R. (2023). Gut microbial modulation by culinary herbs and spices. Food Chem, 409:135286. 

8 Lu, Q.-Y., Rasmussen, A.M., Yang, J., Lee, R.-P., Huang, J., Shao, P., Carpenter, C.L., Gilbuena, I., Thames, G., Henning, S.M., Heber, D., Li, Z. (2019). Mixed Spices at Culinary Doses Have Prebiotic Effects in Healthy Adults: A Pilot Study. Nutrients, 11(6):1425. 

9 Peterson, C.T., Rodionov, D.A., Iablokov, S.N. Pung, M.A., Chopra, D., Mills, P.J., Peterson, S.N. (2019). Prebiotic Potential of Culinary Spices Used to Support Digestion and Bioabsorption. Evid Based Complement Alternat Med, 2019:8973704. 

10 Liu, L., Sadabad, M.S., Gabarrini, G., Lisotto, P., von Martels, J.Z.H., Wardill, H.R., Dijkstra, G., Steinert, R.E., Harmsen, H.J.M. (2023). Riboflavin Supplementation Promotes Butyrate Production in the Absence of Gross Compositional Changes in the Gut Microbiota. Antioxid Redox Signal, 38:282. 

11 Wang, L., Gou, X., Ding, Y., Liu, J., Wang, Y., Wang, Y., Zhang, J., Du, L., Peng, W., Fan, G. (2023). The interplay between herbal medicines and gut microbiota in metabolic diseases. Front Pharmacol, 14:1105405. 12 Rasouli-Saravani, A., Jahankhani, K., Moradi, S., Gorgani, M., Shafaghat, Z., Mirsanei, Z., Mehmandar, A., Mirazei, R. (2023). Role of microbiota short-chain fatty acids in the pathogenesis of autoimmune diseases. Biomed Pharmacother, 162:114620. 

13 Birkeland, E., Gharagozlian, S., Valeur, J., Aas, A.-M. (2023). Short-chain fatty acids as a link between diet and cardiometabolic risk: a narrative review. Lipids Health Dis, 22(1):40. 

14 Chassaing, B., Miles-Brown, J., Pellizzon, M., Ulman, E., Ricci, M., Zhang, L., Patterson, A.D., Vijay-Kumar, M., Gewirtz, A.T. (2015). Lack of soluble fiber drives diet-induced adiposity in mice. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol, 309(7):G528.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 52 (Sept./Okt. 2023)

Die Wirksamkeit von Placebo

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