Es ist nicht neu, dass der Darm für die menschliche Gesundheit wichtig ist: Er wandelt unsere Nahrung in aufnehmbare Nährstoffe um und transportiert die Abfallstoffe wieder aus dem Körper. Wenn Sie sich nicht richtig ernähren, leben Sie nicht lange. So einfach ist das.

Aber in den letzten Jahren haben Wissenschaftler entdeckt, dass der Darm eine noch größere und komplexere Aufgabe hat als bisher angenommen. Er wird heute mit zahlreichen Aspekten der Gesundheit in Verbindung gebracht, die scheinbar nichts mit der Verdauung zu tun haben, von Immunität über emotionalen Stress bis hin zu chronischen Krankheiten wie Krebs und Typ-2-Diabetes.
Wir wissen heute, dass der Darm-Trakt mit Billionen Bakterien, Keimen, Viren und Pilzen besiedelt ist, die uns nicht nur bei der Nahrungsverarbeitung, sondern auch bei der Aufrechterhaltung der Homöostase (Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen) und des allgemeinen Wohlbefindens helfen. In der Zusammensetzung der Darmflora (Mikrobiota) kann daher ein wichtiger Schlüssel zu unserer körperlichen und mentalen Gesundheit liegen.
Die Forschung über die Darmflora steckt noch in den Kinderschuhen. Studien haben jedoch bereits ergeben, dass bestimmte Umgebungen, Lebensmittel und Verhaltensweisen die Darmgesundheit zum Guten oder zum Schlechten beeinflussen können.
Lassen Sie uns gemeinsam untersuchen, warum das wichtig ist und was Sie tun können, um Ihre Gesundheit zu verbessern.
Wie funktioniert der Darm?
Der Magen-Darm-Trakt zieht sich wie ein Schlauch durch unseren Körper. Dabei gehört die dem Speisebrei zugewandte Seite (Lumen) streng genommen zur Außenwelt. Der Darm funktioniert als eine lebendige Schnittstelle zwischen der Außenwelt und unserem Inneren.
Zu den Hauptaufgaben des Darms zählen die Gewinnung von Nährstoffen aus der Nahrung, die Energiebereitstellung, die Immunabwehr sowie die Entgiftung und Ausscheidung von Unverwertbarem. Im Darm, vor allem im Basisprogramm Darmgesundheit – Teil 1 FÜTTERN SIE IHREN DARM! | 23 Dünndarm, wird die Nahrung durch Enzyme auf eine Weise aufgeschlossen („verdaut“), dass sie durch die Darmwand aufgenommen werden kann.
Hier kommt die Darmbarriere ins Spiel. Sie besteht aus einer Kombination von Zellen, Schleimschichten und Immunzellen, die zusammenarbeiten, um schädliche Stoffe abzuwehren und gleichzeitig die Aufnahme von Nährstoffen zu ermöglichen. Das erklärt, warum in den Darmschleimhäuten bis zu 80 % der antikörperproduzierenden Zellen unseres Immunsystems angesiedelt sind. Weil Darm und Immunabwehr so stark voneinander ab - hängen, kann sich ein geschwächter Darm auf das Immunsystem auswirken und genauso umgekehrt.
Was sind „Tight Junctions“ und „Leaky Gut“
Eine wichtige Komponente der Darmbarriere sind die „Tight Junctions“ (etwa: enge Verbin - dungen), die zwischen den, die den Darm aus - kleiden Epithelzellen liegen. Sie fungieren als „Türsteher“ und regulieren den Transport von Substanzen durch die Darmwand (selektive Durchlässigkeit). Eine intakte und funktionie - rende Darmbarriere ist von großer Bedeutung für die Gesundheit, da eine gestörte Darm - barriere mit einer erhöhten Durchlässigkeit, auch bekannt als „Leaky Gut“, in Verbindung gebracht wird. Eine erhöhte Durchlässigkeit ermöglicht es schädlichen Stoffen, wie zum Beispiel Keimen, Bakterien oder toxischen Substanzen, in den Körper einzudringen und Entzündungs- oder allergische Reaktionen auszulösen.
Merke: Eine funktionierende Darmbarriere ist entscheidend, um eine gesunde Darmfunktion aufrechtzuerhalten und das Eindringen von Krankheitserregern und Toxinen (Giftstoffen) in den Körper zu verhindern.
Emotionale Gesundheit – Die Darm-Hirn-Achse
Der Darm ist mit Nervenzellen ausgekleidet, die ständig mit dem zentralen Nervensystem kommunizieren und umgekehrt, wodurch eine wechselseitige Verbindung zwischen diesen wichtigen Systemen entsteht – die Darm-HirnAchse.
Stellen Sie sich die Darm-Hirn-Achse als eine Kommunikationsautobahn vor, die beide miteinander verbindet. Ein Beispiel liefern neuere Studien, die zeigen, dass Mikroben im Darm Verbindungen herstellen, die ins Gehirn gelangen und Heißhunger auf Nährstoffe auslösen, nach denen die Darmmikroben „verlangen“
Obwohl Wissenschaft und Medizin noch in den Anfängen stecken, um die Zusammenhänge zu verstehen, hat eine wachsende Zahl von Forschungsarbeiten in den letzten Jahren weitere faszinierende Erkenntnisse geliefert.

Wir wissen heute zum Beispiel, dass die Mikroben im Darm eine Reihe wichtiger Neurotransmitter des Gehirns wie Dopamin, Glutamat, GABA und Serotonin herstellen und modulieren. Darüber hinaus wirkt sich das Darmmikrobiom auch auf die Immunsignale und das zentrale Nervensystem aus, so dass der Darm sowohl die Gehirnfunktion selbst als auch die Immunfunktion des Gehirns beeinflussen kann.
Merke: Die Forschung weist seit langem auf einen Zusammenhang zwischen unserer Ernährung und unserer psychischen Gesundheit hin. Die Darmflora scheint unsere Stimmung und unsere geistige Einstellung zu beeinflussen.
Die Rolle des Darms bei der Entstehung chronischer Entzünd
Entzündungen werden häufig durch ein Ungleichgewicht in der Darmflora verursacht, das als Dysbiose bezeichnet wird und dazu führen kann, dass „schlechte“ Bakterien in den Blutkreislauf gelangen. Eine 2020 in der Zeitschrift „Frontiers in Immunology“ veröffentlichte Studie legt nahe, dass Dysbiose auch die Blut-HirnSchranke verändert. Diese Entzündungswege wurden mit neuroinflammatorischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Alzheimer und Parkinson in Verbindung gebracht.1
Die Darmflora und kognitive Gesundheit (Aufmerksamkeit, Erinnerung, Lernen etc …)
Bestimmte Chemikalien, die von Darmbakterien verstoffwechselt und gebildet werden, können die Gehirnfunktion beeinflussen.2 So hat die Forschung herausgefunden, dass das Molekül Phosphatidylcholin, das Studien zufolge wichtig ist, um Demenz vorzubeugen, in die giftige Verbindung Trimethylamin-N-oxid (TMAO) umgewandelt werden kann, wenn die „falschen“ Bakterien im Darm vorhanden sind.3 Personen mit den „falschen“ Bakterien könnten so nicht von den Vorteilen von Phosphatidylcholin für das Gehirn profitieren, während sie gleichzeitig mit TMAO ein Molekül bilden, das sich negativ auf die Gesundheit des Herzens auswirken kann.
Das Darm-Mikrobiom und psychische Gesundheit
Eine wachsende Zahl von Studien zeigt auch einen Zusammenhang zwischen der Gesundheit des Darms und der Gehirnfunktion, dem Verhalten und der Stimmung, einschließlich verschiedener psychischer Störungen wie bipolare Störungen, Angst und Depression.4,5
Eine 2021 in der Zeitschrift „Pharmacological“ Research veröffentlichte Übersichtsarbeit ergab, dass Patienten mit einem höheren Gehalt an Enterobacteriaceae und Alistipes (Arten von schädlichen Darmbakterien) häufiger an Depressionen litten.6 Bei Patienten mit einem geringeren Gehalt an Faecalibacterium (oder „guten“ Bakterien) traten Depressionen oder depressive Episoden dagegen seltener auf.
Nachdem Sie jetzt die Bedeutung ihres Darmes für ihre Gesundheit besser einschätzen können, beschäftigen wir uns im nächsten Teil dieses Beitrags mit der Frage, wie Sie nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft Ihre Darmgesundheit beeinflussen können.
1 Rutsch A, Kantsjö JB, Ronchi F. The gut-brain axis: how microbiota and host inflammation influence brain physiology and pathology. Front Immunol. 11:604179. doi:10.3389/ fimmu.2020.604179
2 Xu R, Wang QQ. Towards understanding brain-gut-microbiome connections in Alzeheimer's disease. BMC Systems Biology. 2016;10:63. doi:10.1186/s12918-016-0307-y
3 Vogt NM, Romano KA, Darst BF, et al. The gut microbiota-derived metabolite trimethylamine N-oxide is elevated in Alzheimer's disease. Alzheimers Res Ther. 2018;10:124. doi:10.1186/s13195-018-0451-2
4 Mohajeri MH, La Fata G, Steinert RE, Weber P. Relationship between the gut microbiome and brain function. Nutr Rev. 2018;76(7):481-496. doi:10.1093/nutrit/nuy009
5 Ortega MA, Álvarez-Mon MA, García-Montero C, et al. Microbiota-gutbrain axis mechanisms in the complex network of bipolar disorders: potential clinical implications and translational opportunities. Mol Psychiatry. 2023. doi:10.1038/s41380-023-01964-w 6 Socała K, Doboszewska U, Szopa A, et al. The role of microbiota-gut-brain axis in neuropsychiatric and neurological disorders. Pharmacol Res. 2021;172:105840. doi:10.1016/j.phrs.2021.105840
Erschienen in:

Ausgabe Nr. 51 (Juli/Aug. 2023)
Biologisches Alter messbar?
Ein Blick auf Horvarths Uhr